Re: Neigh

From: tgpedersen
Message: 60160
Date: 2008-09-20

>
> --- In cybalist@... s.com, Jonathan Morris
<jonatas9@ .> wrote:
>
> >
>
> > Ah yes, Vennemann, the thinking man's Edo Nyland.
>
>
>
> Unfortunately, the article is in German, but the abstract isn't:
>
> 'Abstract
> Traditionally, Engl. knife and related Germanic words - Late OE cni:f,
> OFris. and MLG kni:f; MDu. cnijf (Du. knijf), ON knífr - have been
> derived from an unattested Germanic verbal root *knib- or, violating
> the sound laws and disregarding the semantic discrepancy, from the
> Germanic root *kni:p- 'to nip, pinch, squeeze'. The word is most
> commonly assumed to have originated in Old Norse and to have boon
> borrowed from there into Late Old English and the other Germanic
> languages, then from Old English into Old French as quenif, quanif
> 'pocket knife'; a diminutive cnivet, canivet formed in Old French is
> assumed to have traveled on into Provençal, Catalan, and other Romance
> languages (e.g. OSpan. cañivete 'small knife'), and finally into
> Basque as gaiñibeta, ganabeta, ganibet, kanibet, etc. '(pocket) knife,
> penknife' with different forms and meanings in the dialects.
> Ten reasons are given why this assumed itinary is wrong, among them
> the facts (1) that in the Middle Ages new cultural objects and their
> names do not travel from north to south but from south to north, (2)
> that the implied development of a monosyllabic simplex (kni:fr, knife)
> into an apparent compound of three or four syllables (gaiñibeta,
> ganibet), though not impossible, is at least peculiar, (3) that the
> presumed diminutive suffix -et of OFr. cnivet, canivet is also found
> in Germanic (West Fris. knyft '(large) pocket knife)', and (4) that
> the entire set of words is left unexplained because the traditional
> Germanic etymologies are unacceptable.
> The opposite route is then proposed, starting with a Basque compound,
> possibly formed of Latin-derived Bq. kana 'reed pipe, cane' and bedoi
> 'pruning knife' in Gascony, and continuing through the Romance
> languages including Old French, where a doublet was formed by dropping
> the apparent diminutive suffix -et, and on into the Continental,
> Insular, and Scandinavian Germanic languages with different forms and
> meanings, until it reached its end-point in Norwegian Lappish.'

13.1. Die traditionellen Etymologien
Das englische Wort knife 'Messer' und seine germanischen Verwandten
werden etymologisch bei Onions (1966: s.v. knife) folgendermaßen
erklärt: "XI[th century]. Late OE. cni:f = ON. knífr = OFris., MLG.
kni:f, MDu. cnijf (Du. knijf):- [normal development of) Germ.
*kni:Baz, of uncertain etym."1
Das zuerst a. 1441 (in der Form quenif) bezeugte französische Wort
canif 'Federmesser, Taschenmesser' wird von Dauzat et al. (1971),
Bloch und von Wartburg (1994), Picoche (1993), jeweils s.v. canif, als
Entlehnung aus dem Germanischen aufgefaßt und zu altengl. cni:f
gestellt; alt-franz. cnivet, canivet (seit dem 12. Jahrhundert, im 17.
Jahrhundert ausgestorben2) wird dazu als nicht näher bestimmte
Ableitung erachtet, bei Löpelmann (1968: s.v. ganibet) spezifisch als
diminuierendes Derivat mit einem Suffix -et.
Im Altspanischen und in heutigen spanischen Dialekten findet sich
cañivete 'cuchillo pequeño' ('kleines Messer'), das bei
Corominas/Pascual 1980 auf altkatal. oder altgask. canivet (heute
ganivet) zurückgeführt wird. Sie zitieren auch die Varianten canavete,
canivete, cañavete, metathetisch caviñete1, auch aragon. cañivete,
altaragon. ganivet, ganyivete, Umgangs-katal. gavinet 'cuchillo', dann
franz. canif 'cortaplumas' ('Federmesser, Taschenmesser, Klappmesser')
und (mit besonderem Nachdruck, der aber nicht näher begründet wird)
riojan. ganifete 'hoz de vendimia' ('Weinlese hippe', mit hoz
'Sichel'4). Franz. canif führen sie auf ein offenbar rekonstruiertes
fränkisches KNIF 'Messer' zurück, zu dem man engl. knife und mndl.
cnijf vergleichen solle.5 Für das Bearnesische und Gaskognische hat
Palay (1974: s.v.) ganibét, -e mit der Bedeutungsangabe 'couteau à
lame longue et aiguë; couteau des espagnols; désigne aussi un canif et
même tout genre de couteau'.6
Im Baskischen gibt es das Wort kanibet, ganibet 'Taschenmesser'
(Löpelmann 1968: s.w.), ganibet (Gipuzkoano, Suletino), ganabeta
(Bizkaino in Oñate), gaiñibeta (Bizkaino, Gipuzkoano), kanabita (Alto
[440 Navarro in Baztan) 'Messer', kanibet (Alto Navarro, Guipuzkoano)
'Messer mit Scheide, das sich nicht schließt' (de Azkue 1984: s.w.),
mit Nebenformen kanibel, kanit, kainbeta, gaminta (Löpelmann, teils
auch de Azkue).7 Bei de Azkue ist der Eintrag gaiñibeta mit dem
Vermerk versehen, das Wort leite sich von provençal. canivet her.
Löpelmann führt die baskischen Wörter auf katalan. ganivet
'Taschenmesser', ganiveta 'Waidmesser', alt-franz. ganivet, cnivet,
neufranz. canif 'Taschenmesser, Federmesser' zurück. Er erklärt das
baskische Wort als entlehntes romanisches ganivet, dies als
diminuierende Ableitung mit dem Suffix -et zu franz. canif, dies als
germanisches Lehnwort, dessen Vorlage er folgendermaßen identifiziert:
ae. cni:f aus anord. cni:fr 'Messer', engl. knife, frühneuhochdt.
kneiff, mnd. knif (dasselbe); dieses Wort stellt er zu einer
germanischen Wurzel *kni:p-, *kni:b- 'kneifen, schneiden'.
13.2. Einige Probleme der traditionellen Etymologien
Es gibt Gründe, die vorstehenden Etymologien zu bezweifeln. Zunächst
scheint mir das Ende der etymologischen Reduktion problematisch: Die
Wurzel *kni:b-, auf die letztlich die ganze Sippe zurückgehen soll,
gibt es mißerhalb dieses etymologischen Ansatzes gar nicht, und die
Wurzel *kni:p, selbst wenn sie lautlich in Betracht käme, bedeutet
nicht 'schneiden', sondern 'kneifen', was ja nicht dasselbe ist. Bei
Kluge/Seebold (1995) kommt dieses früher ad hoc angesetzte *kni:b-
denn auch nicht mehr vor. Vielmehr heißt es dort: "Kneif m. arch.
'kurzes, gekrümmtes Messer' (< 17. Jh.). Frnhd. kneif, vergleichbar
anord. knífr, spae. cni:f (wohl aus dem Nordischen entlehnt). Daneben
mit Ablautvariation Kneip aus mndt. kni:p, kni:f. Herkunft unklar.
Vielleicht als 'zusammengekrümmt' zu den Wörtern für 'zusammendrücken'
mit dem Anlaut kn- (vgl. kneipen)." Bei Pfeifer (1989: s.v.) findet
sich mnd. kni:f (usw.) 'Messer' von vornherein s.v. kneipen 'kneifen,
zusammendrücken, klemmen'. Daß mnd. kni:f, engl. knife etc. einerseits
und ndt. kneipen, hdt. kneifen andererseits lautlich unvereinbar sind,
wird dort nicht kommentiert.
Alsdann finde ich es sonderbar, daß canivet, das als Ableitung zu
canif aufgefaßt wird, schon im 12. Jahrhundert bezeugt ist (Tristan,
vgl. Dauzat et al. 1971), das angeblich entlehnte Simplex canif aber
erst a. 1441. Eine solche Asymmetrie in der Bezeugung ist natürlich
nicht unmöglich, doch fällt auf, daß sie im vorliegenden Fall durchweg
unkommentiert bleibt und wohl auch nicht begründet werden kann. Sie
läßt indes bei unvoreingenommener Betrachtung auch eine andere Deutung
zu: Wenn canivet ein durch Anwendung einer produktiven
Diminuierungsregel aus canif gebildetes Derivat sein kann, dann kann
[441 ebenso canif ein anhand derselben Regel aus canivet
rückgebildetes Simplex sein. Auf diese prinzipielle Möglichkeit komme
ich in Abschnitt 13.4.1 zurück.
Schließlich scheint mir das Verhältnis des Endpunktes der angeblichen
Lehnkette auf der Iberischen Halbinsel (altspan. cañivete, bask.
ganibet/ kanibet, kanabita) zu seinem germanischen Ausgangspunkt (etwa
spät-ae. cni:f) merkwürdig. Nach diesem Modell beginnt das Wort
einsilbig und endet drei- oder viersilbig. Im Germanischen ist das
Wort ein Simplex, seine französische Entsprechung läßt sich als
Derivat deuten, und das Endprodukt erweckt - zumindest vor seinem
baskischen Hintergrund - den Eindruck eines Kompositums. Auch dies
wird man nicht für unmöglich erachten, denn man könnte geltend machen,
daß Derivation von einem Lehnsimplex gewöhnlich sei und daß die
Motiviertheit im Baskischen nachträglich sein könne, eine
Volksetymologie, indem nämlich das als Derivat motivierte
altfranzösische ganivet (bzw. canivet) und katalanische ganivet
gewissermaßen zufällig im Baskischen eine Deutung als Kompositum
zulasse. Aber stärker werden die traditionellen Etymologien durch
diese Hilfsannahmen nicht. Vielmehr scheint die Beobachtung geeignet,
das traditionelle Modell in Frage zu stellen.
13.3. Zur Etymologie von altfranz. canivet/ganivet, bask. kanibet/ ganibet
Wie gesagt, erweckt das baskische kanibet/ganibet den Eindruck eines
Kompositums, 1. kani+bet oder 2. kan+ibet. Betrachten wir zunächst das
jeweilige Hinterglied.
13.3.1. Zum Hinterglied von bask. ganibet/kanibet
1. Lautlich und semantisch steht bei der ersteren Zerlegung, kani+bet,
dem Hinterglied dieses vermuteten Kompositums bask. bedoi 'Hippe
(insbesondere zum Zurückschneiden von Gestrüpp), Gartenmesser' nahe,
das nur im französischen Teil des Baskenlands vorzukommen scheint; bei
Löpelmann ist es ohne Einschränkung zitiert8, bei de Azkue nur für das
Suletinischc, und zwar nur für eine Gemeinde, und bei Agud/Tovar (s.v.
beda(a)oi) für das Suletinische, dazu pedoi 'Machete' für das Bajo
Navarro. Löpelmann sieht in bedoi ein Kompositum aus beda(r) 'Gras,
Kraut' und oin 'Fuß' ("Das Messer ist gekrümmt wie ein Fuß"), was bei
Agud/Tovar (1990: s.v. bedoi) immerhin zitiert wird. Bei ihnen wird
(unter beda(a)oi) die Möglichkeit einer volksetymologischen Anlehnung
an bedar berücksichtigt'', sie selbst nehmen aber für das baskische
Wort Entlehnung aus dem Beamesischen an (dort [442 bedoui, bedoulh,
ebenso im Gaskognischen bedouiy, bedoulh, altgask. bezog, bedoch,
bezoi, bedoil). Mit Corominas [Corominas/Pascual 1980: s.v. bodollo],
der auch aragon. bodollo, bedollo anfuhrt, und mit Michelena [1977:
Ad. y Corr., § 7.8] lassen sie eine Rückführung des ganzen Komplexes
auf ein gallo-lateinisches vidubium 'Hippe' gelten. (vgl.
Walde/Hofmann 1982, wo vidubium unter fi:nis behandelt und mit 'Hacke,
Haue' glossiert ist). Meyer-Lübke (1935: 778) führt als Etymon 9320
gall. vidubium 'Holzmesser, Hippe' mit verschiedenen Derivaten auf,
die sich im Bereich des Gaskognischen konzentrieren.
Doch läßt sich der gallo-lateinische Ursprung dieses Wortes auch
bezweifeln. Bei Rohlfs (1985: s.v. bodollo) steht: "podón [d.i.
'Hippe', 'großes Baummesser'], instrumento para podar [d.i. 'abästen,
beschneiden, lichten']; comp. cat. bedoll, gasc. bedoulh, aran.
bedull, id. < lat. v i d uc u l u m = v i d u b i u m (Gascon § 312)."
Seinen Angaben zufolge ist das Wort sowohl in den gängigen
Dialektwörterbüchern belegt als auch in persönlicher
Informantenbefragung als geläufig ermittelt. Der Literaturhinweis am
Ende des letzten Zitats löst sich dabei folgendermaßen auf: "Gasc.
bedoùlh ..., bedoùy ..., anc. prov. vezoch, fr. vouge, arag. (a)
bodollo, anc. arag. bedollo ..., cat. bedoll ...'serpe à long manche'
[d.i. 'Hippe mit langem Griff] < v i d u b i u m (gaulois). Por les
regions pyrénéennes il faut partir d'un changement de suffix (*v i d u
c u 1 u m ...)" (Rohlfs 1970: § 312). Doch ist nicht klar, wieso
dieses erschlossene viduculum lateinisch oder gallisch sein soll.
Hierzu schreibt Georg Bossong (brieflich): "Es erhebt sich jetzt
natürlich die interessante Frage nach der Etymologie von +viduculum:
ist es wirklich gleich vidubiuml Ist es wirklich gallischer Herkunft?
Warum dann diese Konzentration des Wortes rund um die Pyrenäen? Liegt
vielleicht doch ein ursprünglich baskisches Etymon zugrunde?"
2. Beim Hinterglied der zweiten Zerlegung, kan+ibet, eröffnen sich
mehrere Möglichkeiten. Zunächst kann man an ein Wort für die Sichel
denken, das sich überall im Baskischen findet, wiewohl in schwankender
Gestalt, und das keine plausible Etymologie hat, also wohl urbaskisch
ist: egitái, egitei, igatéi, igetai, igitai/itai, igitei, igitéi,
igiti/iriti, iritegi (Agud/Tovar 1991: s.v. egitai, igetai).10 Setzt
man ein altes baskisches +kan+egitai an, so könnte dies teils
dissimilatorisch (k...g... > k...b...)11, teils unter dem Einfluß von
bask. eba(k)i 'schneiden' zu +kan+ebitai geworden sein. Unter
Berücksichtigung der im Baskischen auch sonst vorkommenden
Vokalmetathese, hier des Schwankens von e...i... und i...e..., könnte
sich «Ins baskische Wort im Gaskognischen - als Simplex aufgefaßt und
als solches den wortphonologischen Regeln unterworfen - wohl als
canivet/ganivet eingenistet haben. Ein Nachteil dieser letzteren
Rekonstruktion wäre die Bedeutung, 'Sichel'; doch sind
Bedeutungsübertragungen in diesem Bereich wohl möglich, wie das
deutsche Wort Sichelmesser liehen Hippe zeigt.12 [443
Eine zweite Möglichkeit bietet sich, wenn man das baskische Verbum
eba(k)i 'schneiden, mähen' (span. 'cortar, segar') näher betrachtet.13
Dieses wird bei Agud/Tovar (1991) mit Michelena in den Stamm eba- und
ein Suffix -ki zerlegt.14 Zu diesem Verbum stellen sie (mit Michelena
1977: § 17.7) ein Substantiv epailla, epaille, ephaile (letztere Form
im Bajo Navarro und Suletinischen) 'Schneidender, Schnitter' (span.
'cortador, segador'), das offenbar mit dem Agentivsuffix -la/-le
gebildet ist.15 Mit Monophthongierung, Apokope und dem für das
Gaskognische charakteristischen Wandel von auslautendem -ll in -t
(Rohlfs 1970: § 468)16 könnte +-ebaille (< +-ebakile) schon altgask.
+-ebet und dann in der Zusammensetzung vielleicht auch +-ibet
ergeben.17 Komposita der hier vorauszusetzenden Art sind noch heute im
Baskischen üblich, z.B. belharrephaile "Grasschneidender", 'Mäher'
(Löpelmann 1968: s.v. beiharr). Ob im Falle deN hier anzusetzenden
+kanebaille "Rohrschneidender" eine Übertragung einer Agensbezeichnung
auf ein Instrument zu jener frühen Zeit möglich war, müssen die
Spezialisten entscheiden.
Für diese letztere Analyse, die auf den ersten Blick gekünstelt
erscheinen mag, könnte eine Angabe bei Coromines in seiner
Beschreibung des Dialekts der Vall d'Aran (1991: 491, s.v. guinyauet
m. 'ganivet'18) sprechen. Er sagt, daß sich auch ("entre altres
Batmala") die Form gan^ué,ts finde. Für diese Formvarianz zwischen -t
und -ts^ sehe ich nur die folgende Erklärung. Rohlfs (1970: § 468)
schreibt einerseits, der Wandel -ll > -t finde sich "dans la majeur
partie du domaine aquitanique"; z.B. bèt 'beau' < b e l l u m, bedèt
'veau' < v i t e l l u m, castèt 'château' < c a s t e l l u m, agnèt
'agneau' < a g n e l l u m, bedoùt 'bouleau' < b e t u 1 1 u m [klass.
betulla 'Birke']. Andererseits schreibt er: "Dans quelques regions de
la montagne (une partie considérable du Béarn, vallée de Luchon, haute
vallée de Garonne, vallee d'Aran, vallée du Lez, vallée du Salar), on
prononce -tch"; z.B. batch 'vallee', castètch 'chàteau', agnètch
'agneau'19, gatch 'coq' < g a 1 1 u m , poutch 'coq' < p u 1 1 u m ,
Wenn Coromines also gerade für die vallée d'Aran die Formvariante
gan^é,ts^ neben gin^wé,t findet, so erzwingt das, wenn man nicht zur
Hilfskonstruktion einer Übertragung der Aussprache nach dem Muster
anderer Paare auf -èt und -ètch20 greifen will, die Ansetzung eines
nach Apokope auf -ll ausgehenden Etymons. Dies ist auch in dem Fall zu
berücksichtigen, daß man die hier angegebenen Möglichkeiten verwirft
und weiter nach einer Etymologie sucht. Natürlich wirft die
gaskognische -èt/-ètch-Dublette auch auf die traditionelle Etymologie,
die in dem Ausgang -et von canivet das französische Diminutivsuffix
sieht, kein gutes Licht. [444
13.3.2. Zum Vorderglied von bask. ganibet/kanibet
Für das Vorderglied des vermuteten baskischen Ausgangskompositums
bietet das Wörterbuch, soweit ich sehe, nur eine einzige Anknüpfung.
Zwar könnte man zuerst an bask. gan (für joan) 'gehen' denken, vgl.
ganetorri 'Reise', mit et(h)orri '(an)kommen, sich begeben nach'; dann
wäre ganibet soviel wie 'Gehhippe' (oder 'Gehsichel' oder
'Gehschneider'), vgl. deutsch Fahrtenmesser - keine unplausible
Bezeichnung für ein Taschenmesser bzw. ein feststehendes Messer mit
Scheide. Doch ist dieser Ansatz allein schon wegen der verbreiteten
Varianten des 'Messer'-Worts mit k-Anlaut zu verwerfen; denn zu gan
'gehen' gibt es kein kan.
Es bleibt danach, soweit ich sehe, als einziger plausibler Ansatz das
Lehnwort bask. kana 'Rohr' (de Azkue), 'Spazierstock, Stock, Stange'
(Löpelmann), khana 'Rohr, Schilfrohr' (Löpelmann, de Azkue), wozu
kisk. kanabera 'Binse, Schilfrohr' gehört21, alles letztlich von lat.
canna 'Rohr'.22 Unter Berücksichtigung der in Wörterbüchern zuerst
genannten und somit wohl hauptsächlichen Bedeutung von canif im
Französischen, 'Federmesser'23, sowie der Bezeugung des baskischen
Wortes mit anlautendem k24 scheint dieser Ansatz nicht unplausibel. Es
wäre danach kanibet soviel wie 'Rohrhippe', 'Rohrsichel' oder
'Rohrschneider' â€" eine einleuchtende Bezeichnung für ein Messer zum
Zurechtschneiden des mittelalterlichen Schreibgeräts.25 Bemerkenswert
scheint mir auch die bei de Azkue unter kana für eine Gemeinde
(Saraitzu, Bajo Navarro) zu findende Form- und Bedeutungsvariante kaña
'Federkiel'; dies rückt altfranz. canivet/ganivet, bask.
kanibet/ganibet - als 'Federkiel-Hippe', 'Federkiel-Sichel' oder
'Federkiel-Schneider' - noch näher an franz. canif 'Federmesser,
Taschenmesser'.26 Diese Deutung des Vorderglieds scheint mir nach der
Formvarianz und nach der Bedeutung des (rekonstruierten) Kompositums
weiterzuführen, so daß ich sie versuchsweise ansetzen möchte; die
endgültige Entscheidung müssen die Romanisten und Baskologen treffen.27
13.3.3. Zur Verbindbarkeit der für bask. ganibet/kanibet
vorgeschlagenen Vorder- und Hinterglieder
Setzt man das Vorderglied des angenommenen Kompositums mit bask. kana
'Rohr' gleich, so stößt die Identifikation des Hintergliedes mit bedoi
Hippe' auf das Problem, daß der Mittelvokal fast überall nicht a,
sondern i ist.28 Hier könnte man an einen Einfluß der Palatalität des
Nasals denken, die sich im Romanischen, wenn auch nicht im Baskischen
bei der Auflösung der Geminata weithin einstellte (vgl. span caña).
Doch könnte man dieses Problem auch dahingehend deuten, daß [445 die
Ansetzung eines Hintergliedes mit anlautendem Palatalvokal, wie oben
bei der zweiten Zerlegung, den Vorzug verdient. Insbesondere würde
+kana+igetai oder +kana+ibetai regelrecht zu +kanigetai bzw.
+kanibetai werden, entweder durch Monophthongierung von ai an der
Kompositionsfuge zu i oder direkt durch Fall des a vor i (Michelena
1977: § 5.5). Hingegen würde +kana+ebaille in den östlichen Dialekten
regelrecht +kanebaille oder +kanaibaille/ +kaneibaille ergeben
(Michelena 1977: § 5.6); doch wird man nicht ausschließen können, daß
ein so oder ähnlich beschaffenes Kompositum in alter Zeit, wie schon
gesagt, auch als +kanibaille oder ähnlich in Erscheinung trat.
Hingegen hätte die Ansetzung der zweiten Komponente des
rekonstruierten Kompositums als bedoi 'Hippe' eine bemerkenswerte
Koinzidenz auf ihrer Seite. Dieses Wort kommt nur im französischen
Teil des Baskenlandes vor und wird, wie beschrieben, von den
Fachleuten mit bearn. bedoui, bedoulh, gask. bedouiy, bedoulh,
altgask. bezog, bedoch, bezoi, bedoil identifiziert, so daß man sich
auch die Entstehung des (rekonstruierten) Kompositums selbst im
mittelalterlichen Baskenland nördlich der Pyrenäen vorstellen möchte.
Dazu paßt genau, daß Corominas/Pascual (1980) für altspan. (und dial.)
cañivete 'kleines Messer' einen altgaskognischen Ausgangspunkt in
Erwägung ziehen. Auch für bask. kanibet/ganibet kann man nicht eine
Bildung aus dem neueren Baskisch annehmen, während zugleich
spezifische Anhaltspunkte auf die Gaskogne weisen. Dies hu! Larry
Trask (e-brieflich) folgendermaßen auf den Punkt gebracht:
Basque ganibet is accepted by everyone as a loan from Gascon.
Evidence: (!) the word exists as ganibet in Gascon ... and it is
further attested, usually with initial k-... elsewhere in western
Romance; (2) with a few rare exceptions, such as bat 'one' (< *bada or
*bade), native Basque words never end in -t, and a final -t is usually
a sure sign of a loan from Gascon (e.g., topet 'flask', polit
'pretty'); (3) if the word were native in Basque, the intervocalic /n/
should have disappeared, unless it continues an original */nn/, in
which case this ought to show up in one way or another in at least
some of the neighboring languages; (4) the frequent variant with
initial k- strongly suggests that the word cannot be native, since a
native word should not have such a variant; (5) the word is
principally found in the French Basque Country, as is typically the
case with loans from Gascon, though it is admittedly attested also
south of the Pyrenees.
Was ich also letztlich vorschlagen muß, um die Idee eines baskischen
Ursprungs - das Wort kann ja, wenn man es als Kompositum deuten will,
keine romanische Bildung sein - mit diesen spezifischen Problemen in
Einklang zu bringen, ist, daß das von mir angesetzte Kompositum ganz
oder zur Hälfte aus romanischem Lehnmaterial im baskischen Substrat
der Gaskogne gebildet29 und beim Lehnübergang ins Gaskognische
romanisiert wurde. Im Gaskognischen mußte es seinen Charakter [446 als
Kompositum verlieren. Als vier- oder mehrsilbiges Simplex unterlag es
starker Reduklion. Der Verlust des Materials am Wortende hätte im
Falle der Rekonstruktion mit bedoi 'Hippe' das d in den Auslaut
gebracht, wo es der romanischen Auslautverhärtung unterworfen war. Das
mediale (bzw. medial gewordene) -b- unterlag der romanischen
Frikativierung. Die Zuschreibung der Entstehung des Wortes an das
Gaskognische erklärt auch die Variante mit anlautendem g-: Die
Sonorisierung des anlautenden k- hätte im Baskischen Substrat
stattgefunden, da das Altbaskische nur stimmhafte Anlaut-plosive besaß
(vgl. Michelena 1977: Kap. 12).30 In der Form ganivet bzw. kanivet in
die übrigen baskischen Dialekte entlehnt (also gewissermaßen ins
Baskische zurückentlehnt), nahm es regelrecht die Gestalt ganibet bzw.
kanibet an. Die Formen ganabeta (Bizkaino in Oñate) und kanabita (Alto
Navarro in Baztan) könnten ungeachtet der generellen Bedeutung
'Messer' Versuche widerspiegeln, das Wort, nachdem seine Bildeweise
verdunkelt worden war, wieder klarer an kana 'Rohr' anzulehnen.
13.3.4. Gask ganivet, bask. ganibet/kanibet als offenes Problem
I >er Umstand, daß sich - zumindest vordergründig - mehrere Analysen
für gask. ganivet, bask. ganibet/kanibet anbieten31, ist sicherlich
nicht geeignet, Vertrauen in den neuen Ansatz zu erzeugen. Denn liegen
für ein Problem mehrere Lösungen vor, gilt die methodologische Regel,
daß, indem nicht alle Lösungen richtig sein können, auch alle falsch
sein mögen. Doch wird durch solche Zweifel auch die traditionelle
Etymologie nicht besser, so daß es erlaubt sein muß, mehrere
Alternativen in die Diskussion zu bringen.
Am Schluß dieses Abschnitts möchte ich deshalb auf ein weiteres
Problem, nämlich eine weitere mögliche Etymologie hinweisen. Ich
erwähnte in Abschnitt 13.3.2 bask. kanabera 'Binse, Schilfrohr', von
dem sich nach meiner Ansicht auch span. cañavera (id.) herleitet.32
Hierzu setzen einige Romanisten katal. +canyavera an (vgl.
Corominas/Pascual 1980: s.v. cana).33. Da für das Gaskognische -ll- >
-r- gilt (Rohlfs 1970: § 468, z.B. agnèro neben agnèt), könnte dies,
ins Gaskognische entlehnt, wie eine Ableitung von +canyavell
erscheinen. Es könnte aber auch der Wortausgang -vell durch das
regionale baskische Wort nahegelegt sein, da gerade im Suletinischen
(dazu auch im Ronealesischen) für bera 'weich, biegsam' Formen mit l
(bella, beila) auftreten, deren Existenzgrund nicht völlig geklärt ist
(Agud/Tovar 1990: s.v. bera1). Aus der Begegnung von katal. +canyavera
und bask. +kanabella könnte gask. +canyavell entstanden sein, wobei
der Anklang [447 an bell 'schön' gewiß seinen volksetymologischen
Beitrag geleistet hätte.34
Ein Rekonstrukt +canyavell ist nun in zweifacher Hinsicht interessant.
Zunächst darf man wohl eine Entwicklung zu +canivell annehmen. Es gibt
dazu eine ziemlich gute Entsprechung in einer anderen Ableitung von
lat. canna, nämlich bearn./gask. ganitè, ganitèt, ganitoü 'Kehle,
Luftröhre, Speiseröhre' (Palay 1974: s.v.), das man wohl mit span.
cañuto 'kurze dünne Röhre', gañon, gañote 'Kehle, Luftröhre,
Speiseröhre', gañiles 'Kehle der Tiere' verbinden und trotz der
anderen Bedeutung formal mit span. cañutillo 'Gold- und Silberdraht'
gleichsetzen muß (letztere bei Meyer-Lübke 1935: 150, Etymon 1597
canna).35 In +canivell hätten wir eine lautlich einwandfreie,
semantisch diskutable Basis einerseits für das bisher völlig
unverstandene französische Wort caniveau 'Rinne, Rinnstein, Kanal'
(Blech/von Wartburg 1994: s.v.), nämlich als Lehnwort mit einer
Weiterentwicklung des Ausgangs wie in couteau < cultellus),
andererseits für gask. canivet/ganivet 'Messer', nämlich mit der
bereits exemplifizierten spezifisch gaskognischen Entwicklung -ll >
-t. Die semantische Auseinanderentwicklung würde darauf beruhen, daß
Schilfrohr und Binse einerseits das Konzept des Rohrs bieten, von dem
der Weg zu dem des Kanals nicht weit ist (vgl. zu lat. canna
entsprechend cana:lis 'Rohr, Rinne, Kanal'), andererseits - durch das
lange, spitze, grasförmige Blatt - eine metaphorische Basis für die
Benennung eines entsprechend geformten Messers.36
13.3.5. Exkurs: Bast belaugei 'Hippe' und belhar 'Gras'
Möglicherweise bietet zu der zuletzt angesetzten metaphorischen
Übertragung die Gruppe bask. belau, belaugu, belaugei usw. 'Hippe,
Sichel', belagoi 'Gartenmesser, Hippe', belhagoi, belhogoi, belhogei
'Sense(narl) mit kurzem Stil' (bei Löpelmann), belaugei 'Hippe' (Bajo
Navarro, nur eine Gemeinde), belhakoi 'Sichel' (Manuskript Oihenarts)
(bei de Azkue) eine Parallele. Im Baskischen sind beiharr, belarr,
bela, bedarr, bedo, bera- (Löpelmann), belhar, belar, bela-, bedar,
beda-, berar, bera- (de Azkue) Formen eines Wortes für 'Gras,
Kraut'.37 Vielleicht sind die Messer-Wörter vom Gras-Wort abgeleitet;
bei Agud/Tovar (1990) ist dies jedenfalls nicht ausgeschlossen, obwohl
die Autoren keine eigene Deutung versuchen, sondern Löpelmanns
Auffassung gelten lassen, die Messer-Wörter bestünden aus belhar
'Gras, Kraut' und ugu, hugun 'Stiel (eines Werkzeugs)'. Löpelmann
vermutet allerdings, die Grundbedeutung sei "(Ding mit) Stiel zum
Grasschneiden". Dem möchte ich nicht folgen. Bedenkt man aber, daß der
Stiel eines Werkzeugs und der einer Pflanze im Deutschen und
Lateinischen bezeichnungsidentisch sind (Kluge/Seebold 1995: s.v.), so
könnte +belha-hugun ursprünglich auch einen "Gras-Stiel", also z.B.
einen Stiel in der Gestalt eines Grashalms oder einfach einen Grashalm
bezeichnet haben. Dies böte wiederum eine Grundlage für die
metaphorische Bezeichnung eines Messers, wobei der Anklang an
belhain/belhaun 'Knie' auch gebogene Messer (Sicheln, Sensen)
einzubeziehen erlaubte. [448
Ist diese Auffassung richtig, hätten gemäß der oben zuletzt gegebenen
Etymologie die beiden baskischen Messer-Wörter kanibet (etc.) und
belaugei (etc.) - als "Schilfrohr" bzw. "Grashalm" - ihren Ursprung in
derselben, von der Anschauung ausgehenden metaphorischen
Benennungstechnik.
Über die ursprüngliche Form und die Etymologie des baskischen
Gras-Wortes ist viel gerätselt worden, vgl. Agud/Tovar 1990: s.v.
bedar. So setzen z.B. diese Autoren ein ältestes bedar an, während
Michelena (1977: §§ 12.4, 16.5) diese nur im Bizkaino vorkommende Form
von altem berar ableitet. Ich meine, daß man bei der Rekonstruktion
lat. herba 'Gras, Kraut' berücksichtigen muß, das selbst keine
eindeutige Etymologie besitzt (Walde/Hofmann 1982: s.v.). Ich setze
urbask. +berga-r an, mit Verhauchung des +g nach Liquida (+berhar)38
und einerseits Verlust der Aspiration (berar) und andererseits
regressiver Dissimilation (belhar). Urbask. +berga- leite ich durch
Metathese aus urvaskon. +gerba- her.39 Dieses selbst ist als Lehnwort
ins Lateinische gedrungen, wo es regelrecht zu herba 'Gras, Kraut'
wurde.40 Die nur im Bizkaino anzutreffende Form bedar dürfte sich wie
bei Michelena (1977: § 12.4) aus berar erklären.
Übrigens verbietet es der Umstand, daß bedar nördlich der Pyrenäen
nicht vorkommt, das nur dort vorkommende bedoi 'Hippe' mit diesem
Gras-Wort zu verbinden, wie Löpelmann es gerne möchte (vgl. oben
Abschnitt 13.3. 1).41
13.4. Ein Vorschlag zur Lösung des etymologischen Dilemmas
Ich möchte hier einen Vorschlag zur Lösung des etymologischen
Gesamtproblems unterbreiten, der das genaue Gegenteil der
traditionellen Etymologien darstellt, indem er den Ursprung der
etymologischen Kette nicht im Norden, sondern im Süden sucht. Da es
sich beim Messer - mehr als beim Dolch oder Schwert - um ein Objekt
der Zivilisation und beim Federmesser im besonderen um ein Werkzeug
der abendländischen Hochkultur handelt, hat eine Etymologie, die das
betreffende Kulturwort von Süden nach
Norden statt von Norden nach Süden wandern läßt, vor dem Hintergrund
westeuropäischer Kulturströmungen des Mittelalters eine gewisse
initiale Plausibilität, die den Versuch lohnend erscheinen läßt.
13.4.1. Vom Baskisch-Gaskognischen ins Romanische
Dem Vorstehenden zufolge ist bask. kanibet/ganibet 'Taschenmesser',
'Messer', 'Messer mit Scheide, das sich nicht schließt' seinem
Ursprung nach entweder eines der oben beschriebenen
präspezifizierenden Komposita mit der Bedeutung "Rohrhippe",
"Rohrsichel" bzw. "Rohrschneider", d.i. 'Federmesser', bestehend aus
dem lateinischen Lehnwort kana 'Rohr'42 und entweder dem lateinischen
Lehnwort bedoi 'Hippe', dem einheimischen Wort egitai/igetai 'Sichel'
oder dem einheimischen Derivat +ebaille 'Schneidender', wobei das
Kompositum in der beschriebenen [449 Weise lautlich umgestaltet wurde,
oder aber ein metaphorisch verwendetes postspezifizierendes Kompositum
mit der Ausgangsbedeutung 'Schilfrohr, Binse'. In jedem Fall handelt
es sich ursprünglich um einen neu geschaffenen bzw. adaptierten
Ausdruck43 für ein - zumindest regional - neuartiges Kulturobjekt.44
Dieser Ausdruck wanderte als Lehnwort ins übrige Altfranzösisch, ins
Katalanische, ins Spanische und ins historische Baskisch, wobei das im
Romanischen intervokalisch durch Frikativierung aus b entstandene v im
Baskischen in üblicher Weise mit b zusammengeworfen wurde und das
Schwanken des Anlauts insofern verständlich ist, als (1) das Wort bei
der Entlehnung aus dem Gaskognischen in der doppelten Lautung
aufgenommen worden sein kann, (2) auch im älteren Baskisch regional
die Tendenz zur Anlautsonorierung der Plosive bestand (Michelena 1977:
§ 12.11) und (3) der Anklang an kana die Lautung kanibet u.ä. immer
wieder stützen konnte. Die Ausbreitung des baskisch-gaskognischen
Worts dürfte mit der Verbreitung der so benannten Ware durch den
Handel verbunden gewesen sein, wobei es für diesen Vorgang in der
Anfangsphase förderlich gewesen sein mag, daß die Regionen beiderseits
der Pyrenäen im Mittelalter weiträumiger durch eine
baskisch-romanische Zweisprachigkeit geprägt waren.45
Nur im Altfranzösischen wurde, wie in Abschnitt 13.2 schon als
Möglichkeit angedeutet, aus dem vermeintlichen Derivat canivet das
scheinbare Simplex canif abduziert. Das war durch die Natur der
bezeichneten Objekte motiviert, deren maßgebliches Kennzeichen nicht
die Kleinheit, sondern die Spezialisierung war; für ein besonderes
Messer neben einem nicht so spezialisierten Messer - vgl. das seit dem
12. Jahrhundert (als coltel) bezeugte couteau 'Messer'46 - leistet die
Bezeichnung canif dasselbe wie die Bezeichnung canivet.47
13.4.2. Vom Französischen ins Englische, Nordische und Lappische
Vom Altfranzösischen aus ist das Wort in der Form canif ins
Spätaltenglische entlehnt worden, wo es - mit Synkope der vortonigen
Erstsilbe und Wiedergabe des geschlossenen französischen i durch das
gespannte, lange englische i: - bald nach der normannischen Invasion
von a. 106648 als cni:f m. aufzutauchen beginnt (a. 1100, a. 1175, ca.
1200, a. 1297, ca. 1305, ca. 1377, ca.1386 etc., vgl. OED: s.v.
knife), und zwar von Anfang an in der generellen Bedeutung 'Messer'.49
Es verdrängt hier, wie im Spätaltenglischen bzw. Frühmittelenglischen
auch bei vielen anderen Wörtern als Folge der Invasion zu beobachten,
die alten Wörter für das betroffene Konzept, ae. seax n. 'Messer,
Dolch, Kurzschwert', ae. meteseax n. 'Messer', wörtlich
"Speiseschwert"50 (vgl. zu seax und meteseax Bosworth und Toller 1898:
s.w., zu seax auch 1973); dazu mag im Fall [450 von seax die große
Bedeutungsbreite, im Falle meteseax der Umstand beigetragen haben, daß
engl. mete 'Speise' schon im Mittelalter die Bedeutung 'Fleisch'
entwickelte (vgl. meat im heutigen Englisch)51, so daß das Kompositum
eine unbequem spezielle wörtliche Bedeutung annahm.52
Wenn diese Rekonstruktion des Entlehnungswegs für franz. canif, engl.
knife richtig ist, folgt, daß franz. canif - und somit canivet -
spätestens im 11. Jahrhundert im Französischen existierte (und daß
auch kanibet/ganibet im historischen Baskisch ein ähnlich hohes Alter
aufweisen dürfte). Dieser Konsequenz widerspricht, wie schon in
Abschnitt 13.2 gesagt, die wesentlich spätere Bezeugung nicht; das in
Abschnitt 13.4.1 zitierte, wie canivet erst im 12. Jahrhundert
bezeugte couteau (coltel) gehört dem Französischen ungeachtet seiner
späten Bezeugung sogar schon seit seiner Herausbildung aus dem
Lateinischen an.
Vom Mittelenglischen ist cni:f - mit derselben generellen Bedeutung -
ins Altnordische gedrungen, wobei die angelsächsisch-altnordische
Zweisprachigkeit im skandinavischen England (Danelaw) vermittelnd
gewirkt haben dürfte.53 Im Altnordischen wurde das englische
Maskulinum richtig als knífr m. aufgefaßt; dieses Wort existiert heute
im Isländischen, Färöischen, Norwegischen, Dänischen und Schwedischen
(de Vries 1962: s.v. knífr). Vom Norwegischen ging das Wort - als
ni:bbe - ins norwegische Lappisch (vgl. de Vries 1962: s.v. kni:fr).
13.4.3. Vom Französischen ins Kontinentalgermanische
Ebenfalls vom Altfranzösischen aus ist das Wort in die
kontinentalgermanischen Sprachen gedrungen, wo es gleichfalls erst
spät auftritt: mittelndt. knif n. 'Messer, bes. Schustermesser'
(daneben kni:p, vgl. Lübben/Walther 1980), mittelndl. cnijf, fries.
knif, knijf (de Vries 1971). In deutschen Dialekten ist neben ndt.
Kni:f und hdt. Kneif m. - gewiß in volksetymologischer Anlehnung an
kni:pen/kneifen - auch ndt. Kni:p und hdt. Kneip in Gebrauch, am
häufigsten in der Bedeutung 'Schustermesser', daneben 'Taschenmesser'
(Paul/Betz 1966: s.v. Kneif/Kneipp54). Schmeller (1985: s.v. Kneif)
gibt als Bedeutung im Bairischen 'schlechtes, kleines Messer' an.
Für eine unmittelbare Entlehnung der kontinentalgermanischen Formen
aus dem Französischen spricht das Genus des Lehnworts: Während das
Wort im Altenglischen und Skandinavischen ein Maskulinum ist, ist es
im Kontinentalgermanischen ein Neutrum, mit Ausnahme des spätbezeugten
deutschen Wortes, dessen Genus an das eines anderen Werkzeugs
angeglichen sein mag. Der Unterschied im Genus erklärt sich aus dem
Genussystem des Alt- und Neufranzösischen, das nur zwei Genera
unterschied, nachdem Maskulinum und Neutrum schon im Vulgärlatein [451
Galliens zusammengefallen waren (z.B. Rickard 1977: 20): Bei der
Entlehnung von Wörtern aus dem neutralisierten Genus ins Germanische
mußte dieses Genus wieder als Maskulinum oder Neutrum aufgelöst
werden; da es aus der Sicht der Entlehnenden keinen Anhaltspunkt für
eine "richtige" Auflösung gab, sind beide möglichen Zuordnungen zu den
germanischen Genera zur Anwendung gekommen. - Das unterschiedliche
Genus des hier betrachteten Wortes im Germanischen ist übrigens im
Rahmen der alten Etymologie nicht erklärt worden; die neue Etymologie
erklärt es auf die vorgeschlagene Weise.
13.4.4. Die Beweiskraft des Friesischen
Für eine unmittelbare Entlehnung der kontinentalgermanischen Formen
aus dem Französischen spricht - neben der schon festgestellten
speziellen Bedeutung im Deutschen und dem neutralen Genus im
Niederdeutschen - bei genauerer Betrachtung vor allem die Beleglage im
Friesischen. Das Nordfriesische knif n. (mit kurzem i) 'Messer'
(Jensen 1927: s.v.) hat zwar die allgemeine Bedeutung55, zeigt aber
neutrales Genus und ist vor allem durch das kurze i auffällig, das
nicht zum Englischen und Skandinavischen stimmt, wohl aber zur Annahme
einer vom Englischen und Skandinavischen unabhängigen Entlehnung aus
dem Französischen, dessen i vom germanischen Standpunkt aus als lang
und als kurz aufgefaßt werden konnte.56 Ostfries. Kneif (selten)
'Taschenmesser' (Stürenburg 1857: s.v.) hat die spezielle Bedeutung
und den Langvokal.57 Vor allem aber ist westfries. knyft [knift] n.
'(großes) Taschenmesser' (Buwalda et al. 1971: s.v., Zantema 1984:
s.v.)58 aufschlußreich: Es weicht mit dem neutralen Genus, der
speziellen Bedeutung59 und dazu mit seiner phonologischen Gestalt,
also in dreierlei Hinsicht, vom Englischen und Skandinavischen ab;
insbesondere erklärt sich das auslautende t zwanglos durch die Annahme
einer unmittelbaren Entlehnung aus franz. canivet.60
13.5. Noch einmal zum Ausgang vom mittelalterlichen Baskenland
Mein Grund für die Annahme einer Herkunft der hier behandelten
Wortsippe aus dem mittelalterlichen Baskenland ist, daß das Wort nur
dort als ein verständliches Kompositum, nämlich als Bildung mit dem
Erstglied lat. canna 'Rohr', gedeutet werden kann. Diese Komponente
ist nach der einen Deutungsgruppe auf das Schreibrohr zu beziehen.
Zwar hat man im Hochmittelalter nicht mehr mit dem Rohr, dem
Calamus61, sondern mit der Feder geschrieben; aber das Schreiben mit
dem Calamus hat sich in der mediterranen Welt immerhin bis ins
Frühmittelalter erhalten [452 (Bischoff 1986: 35), so daß eine
entsprechende Bezeichnung den Wechsel vom Rohr zur Feder im
Pyrenäenraum überdauert haben kann. Zudem kommt, wie gesehen, das
Vorderglied in der Gestalt kaña im Baskischen auch mit der Bedeutung
'Federkiel' vor. Nach einer weiteren angegebenen Deutung wäre die
Komponente canna 'Rohr' durch die baskische Weiterbildung kanabera
'Binse, Schilfrohr' metaphorisch für die Bezeichnung eines speziellen
Messers wirksam geworden.
Übrigens muß das Wort in jedem Fall hinreichend spät ins
Altfranzösische gedrungen sein, um von der altfranzösischen
Entwicklung von k zu ch ausgenommen zu bleiben (nicht chanif).
Wollte man schließlich fragen, wieso das baskisch-gaskognische Wort
seinen Weg in die benachbarten romanischen Sprachen gefunden hat, von
denen aus es sich nach Norden und Osten ausbreitete, so müßte man wohl
über die Grenzen der Linguistik hinausblicken und z.B. wirtschaftliche
Fakten einbeziehen, etwa daß zu den Hauptwirtschaftszweigen Bilbaos
heute die Roheisen- und Stahlerzeugung (ca. 30% der spanischen
Produktion), dazu der Schiffs-, Fahrzeug- und Maschinenbau gehören,
indem dort "die Eisenerze des Hinterlandes verhüttet werden" (Großer
Brockhaus: s.vv. Baskenland, Bilbao) und daß Eibar62 seit dem 15.
Jahrhundert als Waffenschmiede bekannt ist, die durch ihre Degen nach
Damaszener Art Ruhm gewann (Gorys 1991: 308).63 Nur
Wirtschaftshistoriker der Region können die Frage beantworten, in
welchem Umfang eine entsprechende Industrie und der zugehörige
Fernhandel schon im Hochmittelalter bestanden und ob das Baskenland
(im weiteren Sinn, in den Sprachgrenzen des Mittelalters und unter
Einschluß der zunehmend romanisierten Gaskogne bzw. Aquitaniens) auch
zu jener Zeit durch die Fertigung spezieller Messer - so wie später
der messerscharfen und hochelastischen Eibarer Degenklingen64 - eine
internationale Rolle spielte, so daß mit einem baskischen Erzeugnis
seine baskische Bezeichnung in mehrere europäische Sprachen dringen
konnte.
13.6. Schlußbetrachtung
Die traditionellen Etymologien für die hier untersuchten Wörter werfen
eine stattliche Reihe schwieriger Probleme auf:
1. Die Rückführung der ganzen Sippe (engl. knife etc., frz. canif
etc., altspan. cañivete etc., bask. kanibet etc.) auf das Germanische
endet in einer etymologischen Sackgasse, nämlich bei einem lautlich
und semantisch abzulehnenden Rekonstrukt (die Lautform *kni:Baz ist ad
hoc angesetzt, und die Bedeutung der lautähnlichen Wurzel kni:p- ist
'kneifen', nicht 'schneiden'). [453
2. Die Gründe für die angebliche Südausbreitung des angeblich
germanischen bzw. nordgermanischen Wortes bis ins Baskenland bleiben
unklar.
3. Das zweifache Genus im Germanischen bleibt unerklärt.
4. Die zweifache Vokalquantität im Germanischen bleibt unerklärt.
5. Es wird nicht verständlich, warum das Wort zwei unterschiedliche
Bedeutungen aufweist, die eine, generelle, im Englischen und
Nordischen, die andere, spezielle, im Kontinentalgermanischen,
Romanischen und Baskischen.
6. Die Bedeutungsspezialisierung beim angeblichen Übergang aus dem
Nord- bzw. Nordseegermanischen ins Festlandgermanische und ins
Romanische findet keine Begründung.
7. Es bleibt rätselhaft, wieso ein angebliches Derivat (afrz.
canivet) um drei Jahrhunderte früher bezeugt sein soll als das
zugrundeliegende, angeblich aus dem Englischen entlehnte Simplex (frz.
canif).
8. Es bleibt ebenso rätselhaft, wieso ein -t, das für die
entlehnenden romanischen Sprachen als Teil eines romanischen
Ableitungssuffixes gedeutet wird (afrz. caniv-et neben frz. canif),
auch im Germanischen auftritt (westfries. knyft).
9. Es überrascht, daß das Wort am Beginn seiner Reise einsilbig, am
Ende aber drei- und viersilbig erscheint.
10. Es überrascht, daß das auf seiner ganzen Reise etymologisch
unverständliche Wort ausgerechnet am Ziel, im Baskischen, transparente
kompositioneile Bedeutungen annimmt, die darüber hinaus, was bei
volksetymologischer Aneignung eines fremden Wortes keineswegs zu
erwarten wäre, auf das hochspezialisierte bezeichnete Werkzeug
semantisch passen.
Der hier entwickelte neue etymologische Ansatz, der die Reise des
Wortes genau umkehrt, nämlich im Baskischen beginnen und einerseits im
Mittelenglischen und Altnordischen (bzw. Lappischen), andererseits im
frühneuzeitlichen Kontinentalgermanischen enden läßt, vermeidet alle
zehn Probleme.
Daß mein neuer Entwurf seinerseits mancherlei Probleme aufweist, ist
mir bewußt. Die Einzelheiten der skizzierten Lösung bedürfen noch
genauer Untersuchung durch die für die einzelnen Abschnitte der
etymologischen Reise zuständigen Fachleute. Insbesondere wo sich bei
ungenügender Kenntnis der regionalen Verhältnisse mehrere Vorschläge
anboten, sind die jeweiligen Fachleute eingeladen, unter diesen die
unhaltbaren auszusondern und unter den verbleibenden den besten
auszuwählen - oder aber, auch das wäre ein Lohn der Mühen, einen ganz
anderen Lösungsweg einzuschlagen. [454
Anhang
Zur Etymologie von span. cañavera 'Riedgras, Binse, Schilfrohr'
Span. cañavera 'Riedgras, Binse, Schilfrohr' (dazu cañaveral
'Röhricht', cañaverero 'Rohrverkäufer', acañaverear 'mit Rohrstäben
hinrichten' u.a.) scheint keine plausible Etymologie zu besitzen. Der
erste Teil des Wortes ist natürlich span. caña 'Rohr'; der zweite Teil
ist laut Corominas/Pascual (1980: s.v.) unsicher, doch ihnen zufolge
wahrscheinlich mit span. avena (lat. ave:na 'Hafer, Strohhalm')
gleichzusetzen, das vielleicht hinzugefügt wurde, um Verwechslungen
von caña 'Rohr, Binse' mit caña 'Hündin' vorzubeugen; der Nasal des
Zweitglieds wäre hiernach zu r dissimiliert worden.
Palay (1974) hat für das Bearnesische und Gaskognische canabère (fem.)
'roseau et, par anal., tuyau de petites dimensions; la
trachée-artère'. Zur Entsprechung in der Vall d'Aran schreibt
Coromines (1991: s.v. cana f.): "canauéres f. pl.: com el cast.
CAÃ`AVERA la seva etimologia és més complexa que un simple cpt. de
cana, ll. CANNA."
Die Rekonstruktion bei Corominas/Pascual (canavera < caña + avena) ist
ausführlich begründet. Das beste der beigebrachten Argumente ist Larry
Trask (e-brieflich) zufolge die portugiesische Form canavé, die sich
aus *cannavena, nicht aber aus einer Form mit r lautgesetzlich
ableiten lasse65; doch zitieren Corominas/Pascual auch port. canavera
(a. 1318).
Nicht erwähnt wird die oben schon genannte baskische Entsprechung
kanabera 'Binse, Schilfrohr', die die Autoren wohl als spanisches
Lehnwort auffaßten. Die Formen bei de Azkue lauten: kanabe (Suletino),
kanabela (Gipuzkoano, Gemeinde Andoain), kanabera (Bajo Navarro,
Gipuzkoano, Labortano, Suletino), khanabera (Bajo Navarro, Suletino),
kañnabera (Alto Navarro, Bizkaino, Gipuzkoano).
Da die vorstehende Etymologie für span. cañavera 'Binse, Schilfrohr'
mir ziemlich gekünstelt erscheint, möchte ich zu bedenken geben, daß
vielleicht nicht bask. kanabera ein spanisches, sondern umgekehrt
span. cañavera ein baskisches Lehnwort ist. Im Baskischen ist kanabera
ein transparentes Kompositum aus dem Substantiv kana 'Rohr' und dem
Adjektiv bera 'weich, biegsam'.66 Diese Bildung könnte einen Versuch
darstellen, die Bezeichnung der Pflanze von sonstigen
Verwendungsweisen von kana (z.B. 'Spazierstock') abzuheben.
Corominas/Pascual erwähnen bask. kardabera 'Distel'; bei Löpelmann
steht khardabera 'Löwenzahn, gemeiner Lattich, Felddistel', zu kharda,
das zwar ebenfalls 'Distel', jedoch auch 'Distelkopf', ferner
'Krempel, Hechelkamm' bedeutet. Larry Trask teilt mir (e-brieflich)
mit, es sei "common in Basque to use bera in plant names (e.g.
kardabera 'thistle' < karda ~ kardu [a Romance loan] + bera)." Dies
entspräche in der Tat einem verständlichen Unterscheidungsbedürfnis
und hätte eine Entsprechung in der Weise, wie im Baskischen Bäume von
ihren Früchten unterschieden werden, nämlich durch Anfügung eines
Suffixes -(a)tze, das die Bedeutung 'Baum, Strauch' beiträgt; z.B.
gerezitze 'Kirschbaum' zu gerezi 'Kirsche', unratze 'Haselbusch' zu
unr [u~r] 'Haselnuß'.67
Was ich also vorschlagen möchte, ist, daß kanabera (etc.) ein
Ursprünglich im Baskischen aus dem Lehnwort kana 'Rohr' und dem
nativen Wort bera 'weich, biegsam' gebildetes
Substantiv-plus-Adjektiv-Kompositum mit der wörtlichen Bedeutung
"weiches, biegsames Rohr" und der grammatikalisierten bzw.
lexikalisierten Bedeutung 'Rohr-Pflanze' ist. Dieses Wort ist als
Ersatz für caña 'Rohr' ins Spanische entlehnt worden, viel leicht um
den von Corominas/Pascual angedeuteten [455 Homonymenkonflikt zu
vermeiden, vielleicht aber auch, weil auch im Spanischen die
Möglichkeit begrüßt wurde, im weiten Bedeutungsfeld 'Rohr' eine
spezifische Bezeichnung für die Rohr-Pflanze zu besitzen.68 Dabei war
es sicherlich der Aufnahme des Wortes förderlich, daß der Bestandteil
kana an cana 'Rohr' anklang und der Bestandteil bera nach der
spanischen Phonologie mit älterem span. vera 'wahr f.'69 lautidentisch
war, ferner daß dieser nach seiner Lautgestalt darüber hinaus sogar
mit dem Vorderglied im Genus zu kongruieren schien70, so daß der
Ausdruck als "wahres Rohr" aufgefaßt werden konnte.71 Auf dem
Hintergrund von caña 'Rohr' war es dann ein natürlicher Schritt,
spanische Lautform und spanische Bedeutung dadurch in vollkommenen
Einklang zu bringen, daß man auch das scheinbar abweichende
Vorderglied kana zu caña hispanisierte. Das so entstandene Wort des
spanischen Superstrats hat dann seinerseits auf das baskische Substrat
eingewirkt. So würde es sich jedenfalls erklären, daß im Baskischen
die Lautform kañabera auf die spanischen Provinzen beschränkt ist.
Das Entsprechende gilt mutatis mutandis für die anderen an das
Baskische grenzenden romanischen Sprachen.
Nachwort
Da das Wort cañivete 'cuchillo pequeño' bei Corominas/Pascual (1980)
als altspanisch und dialektal gekennzeichnet ist, hatte ich es
versäumt, das Wort in Wörterbüchern der spanischen Gegenwartssprache
nachzuschlagen. Umso überraschter war ich, nach Abschluß dieser Arbeit
im Diccionario 1992 - einem Wörterbuch also, das z.B. cañavera naiv
auf lat. canna vera 'wahres Rohr' zurückführt (vgl. im Vorstehenden
die Anm. 71) -nicht nur den Eintrag "canivete ... ant. Cuchillo
pequeño" mit dem Hinweis "De canivete", sondern dort den folgenden
Eintrag zu finden: "canivete. (... cf. ant. cat. canibet, hoy
ganibet.) m. Navaja [d.i. 'großes (Taschen-) Messer, Schnappmesser,
zusammenlegbarer Dolch']. 2. ant. Cuchillo pequeño [d.i. 'kleines
Messer']." Die eigentliche Überraschung war dabei die im Zitat
ausgesparte Stelle; sie lautet: "De or[igen] inc[ierto]", d.i.
'unsicherer Herkunft'. Leider wird diese Feststellung im selben Werk
einige hundert Seiten später wieder aufgehoben, denn zur Probe unter
gañivete nachschauend fand ich das nach dem etymologischen
Forschungsstand zu erwartende "Del fr. canif." Gleich ob die
etymologische Angabe im Artikel canivete aus Unwissenheit des
Bearbeiters oder aus tieferer Einsicht resultierte, ist sie mit
Abstand das Beste, was ich zum Thema der vorliegenden Arbeit gelesen
habe, geeignet, auch das Ergebnis meiner eigenen Bemühungen
zusammenzufassen; ich erlaube mir, sie als Motto ans Ende meines
Aufsatzes zu stellen.
canivete. (De or. inc....)
Anmerkungen
Erstveröffentlichung 1997 in: Kurt Gustav Goblirsch, Martha Berryman
Mayou and Marvin Taylor (Hrsg.), Germanic Studies in Honor of Anatoly
Liberman, 439-462. (NOWELE: North-Western European Language Evolution
31/32.) Odense: Odense University Press. Der Neuveröffentlichung wurde
eine Zusammenfassung beigegeben.
Den Grundgedanken dieser etymologischen Studie habe ich zuerst am 24.
September 1994 im Rahmen des Öhmann-Symposiums, Helsinki, bei
Gelegenheit meines Vortrags "Etymologische Beziehungen im Alten
Europa" vorgetragen, vgl. Vennemann 1995c: Anm. 13. Aus inhaltlichen
Gründen habe ich die Ausführung von jenem Artikel getrennt. Larry
Trask danke ich für die Beantwortung einiger Fragen auf dem Internet,
Georg Bossong für die Durchsicht des Manuskripts und einen Brief mit
wertvollen Bedenken und Anregungen.
1. Vgl. dieselbe Beurteilung im OED: s.v.
2. Bloch/von Wartburg (1994) zufolge existiert die Form canivet
noch in der Normandie.
3. Dazu in einem maurischen Text zwischen 1500 und 1535 gafinêt
als Übersetzung von deutsch Messer.
4. Vgl. die Bedeutungsangabe 'Sichelmesser' für Hippe f., etwa
bei Kluge/ Seebold.
5. Meyer-Lübke (1935: 384, Etymon 4723) gibt zur Herkunft von
franz. canif nebst angeblicher Ableitung altfranz. ganivet (> prov.,
katal. ganiveta, alt-span. canivete, salamanc. gañivete, port.
canivete) lediglich "kni:f (fränk.) 'Messer'" an.
6. Vgl. oben das erste Motto (aus Gustave Flauberts Dictionnaire
des idées reçues).
7. Auch Corominas/Pascual (1980: s.v. cañnivete) zitieren bask.
ganibet 'cuchillo', aber ohne Interpretation des Zusammenhangs mit den
romanischen Formen, also wohl mit dem Verständnis, daß es sich dabei
um ein romanisches Lehnwort handele.
8. Dort auch belagoi 'Hippe', das aber de Azkue mit belaiki
gleichsetzt, 'Brettchen mit einem Stil in der Mitte zum Einsammeln von
Kehricht, Reisig etc.'.
9. Es besteht überhaupt kein Zusammenhang zwischen bedoi und
bedar; vgl. unten Abschnitt 13.3.5.
10. Dazu igita, igite, egita, igitaite, itaite 'Mahd, Schnitt'
(Agud/Tovar 1991: s.v. egitai).
11. Vgl. ähnlich ebakotx/ebiakoitz/ibiakoitz statt egubakoitz
'Freitag' (zu egun 'Tag').
12. Da ja auch bask. bedoi 'Hippe' keine zwingende Etymologie
hat, wäre zu prüfen, ob nicht gar ein Zusammenhang der oben erwogenen
Art mit egitai/ igetai 'Sichel' und ebai 'schneiden' besteht, mit
Aphärese beim Übergang ins Romanische.
13. Agud/Tovar nennen neben ebaki als Formen der verschiedenen
Dialekte ebagi, ebai, epai, ephai.
14. Zur Gradvarianz des labialen Plosivs zitieren sie die
Ansicht, daß dieser ursprünglich im Anlaut stand, daß e- also ein
Präfix sei.
15. Vgl. de Azkue 1984: s.v. -le. Doppel-l steht für den
palatalen Lateral.
16. Gemeint ist offenbar der aus Doppel-l entstandene
mouillierte (palatale) Lateral.
17. Für das Schwanken der Vokalhöhe gibt es viele Beispiele,
vgl. Michelena 1977: Kap. 2 ("Apertura y cierre"). Vgl. auch oben das
Beispiel egitai mit seinen Varianten.
18. Zur Lautform guinyauet sagt Coromines, daß sie aus ganyiuet
durch Vokalmetathese entstanden sei.
19. Bei Rohlfs steht, sicher irrtümlich, castètch 'agneau'.
20. Z.B. castèt: castètch = guinyauet/ganibet : x. Ein
unmittelbares Muster könnte hier gask. coutèt 'couteau' < lat.
cultellus abgegeben haben, vgl. bei Palay (1974: s.v.) coutèt;
coutèch, -tètch, auch coutéyt 'couteau'. Vgl. auch Coromines (1991:
s.v. cotèt m. = cat. coltell): "Avui molt antiquat i substituït
generalment per guinyauet; però resta kuté,c^ a SJT [San Joann de
Toran] i Ba [Bausenn] com a nom d'una espècie de podadora, veremell o
petit dall, usat per tallar branques d'arbre o arbustos. ... És curiós
que a tots dos llocs vaig sentir-ho en la forma kuté,c^ (amb -c^, no
-t, propagada des de Cnj [Canejan]? evolució del pl. cotèts?)."
21. Vgl. zu bask. kanabera den Anhang.
22. Einfaches -n- ist der regelmäßige Reflex der Geminata -nn-
in Lehnwörtern (Michelena 1977: § 15.5), während einfaches
intervokalisches -n- in nativen Wörtern und alten Lehnwörtern im
allgemeinen verloren geht (§§ 15.2, 15.5). Vgl. Joanes für Johannes,
aber koroa für coroña 'Krone'; das Beispiel bask. ano(a) 'Portion,
Ration' für lat. anno:na 'Jahresertrag, Proviant' illustriert beide
Regeln.
Echenique Elizondo (1987: 65-66) gibt als eins ihrer
Entlehnungsbeispiele "kalamu, galamu 'cáñamo' ['Hanf] < lat.
*CANNAMV". Dies steht nur in scheinbarem Widerspruch zu der Regel über
-nn-, denn in diesem Wort sind drei Wörter vermengt worden: Die
Grundlage ist hispano-lateinisches cannabum für lat. cannabis (Griech.
kánnabis) 'Hanf, vgl. altport. cánabo, cáneve neben cánamo
(Corominas/Pascual 1980: s.v. cáñamo, ferner Meyer-Lübke 1935: 150,
Etymon 1599). Hineingewirkt hat aber im Baskischen offenbar span.,
port. cálamo 'Halm, Rohr' (lat. calamus, aus dem Griechischen
entlehnt, griech. kálamos 'Rohr, Schilf, Grashalm, Schreibrohr'), vgl.
Löpelmann 1968: s.v. kalamu, wobei kana 'Rohr' (vgl. auch span. caña
neben cañamo) die Brücke gebildet haben dürfte
23. Dies ist jedenfalls die Bedeutung von le canif im
Nordfranzösischen; in der Langue d'Oc bedeutet la cannive 'großes
Messer' (Schmeller 1985: s.v. Kneif).
24. Im neuen etymologischen Wörterbuch von Agud/Tovar wird die k-Form
offenbar als grundlegend angesehen; vgl. unten Anm. 27.
25. Vgl. im Eingang dieses Artikels die Worte des Sängers aus
Goethes West-östlichem Divan.
26. Andererseits kann bei Bezug auf caña 'Rohr', cañavera
'Binse, Schilf sich auch die Bedeutung 'Machete' einstellen, mit Bezug
auf den Rebschnitt hingegen die 'Sichel'-Bedeutung dominieren.
27. Bei Agud/Tovar (1992) ist unter ganibet auf kanibet
verwiesen; dieser Artikel ist zur Zeit der Abfassung des vorliegenden
Aufsatzes noch nicht erschienen.
28. Auf diese Schwierigkeit haben mich Larry Trask und Georg
Bossong nachdrücklich hingewiesen. Bossong weist im besonderen darauf
hin, daß bei de Azkue (1969: 407-414), wo ein eigenes Kapitel den
"Leyes fonéticas de composiciön" gewidmet ist, von einer Veränderung
eines stammauslautenden -a in -i nichts steht, daß sich im Gegenteil
eher -a durchsetze. "Wie ist", schreibt er, "dieses -i- (das ja im
Englischen als einziger Vokal des ganzen Wortes übrig geblieben ist!),
zu erklären?" Er bringt, freilich ohne eigene Überzeugung, den Ansatz
der baskischen Wurzel gain 'punta, cima, aguijön', als Suffix 'auf,
über', zur Erwägung, deren palatales -n eventuell den Vokal -i-
erklären könnte. Mit der resultierenden Bezeichnung des Messers als
"Spitzenhippe" ist er aber selbst unzufrieden.
29. Es ist im Baskischen gewöhnlich, daß romanische Lehnwörter
in native Wortbildungsverfahren eingehen. Bemerkenswert wäre an diesem
Beispiel allenfalls, daß bei einer der Deutungen beide Konstituenten
des angesetzten Kompositums romanischen Ursprungs wären. Doch ist auch
dieser Fall bekannt, z.B. liburudenda 'Buchhandlung', aus liburu
(vlat. librum [lat. liber, vgl. span. libro] 'Buch') und denda (vlat.
tenda [vgl. span. tienda] 'Laden, Geschäft').
30. Das Wort muß jedenfalls bereits mit stimmhaftem Anlaut ins
Gaskognische geraten sein, denn über eine Anlautsonorierung der
Plosive im Gaskogne sehen selbst ist bei Rohlfs (1970) nichts zu finden.
31. Vollständigkeit ist, wenn man erst einmal einen südlichen
Ursprung des hier betrachteten Messer-Worts erwägt, kaum zu erzielen.
Bedenkt man daß es regional auch die Rebhippe bezeichnet, so könnte
man z.B. an eine Zusammensetzung von bedoi 'Hippe' mit dem Namen eines
Weinortes denken, z.B. Gan ("Gan, commune bearnaise; elle produit des
vins renommés dits de Jurançon", vgl. Palay 1974: s.v.).
32. Vgl. unten den Anhang.
33. Bei Batlle et al. (1992: s.v. canya [katal. canya 'Rohr'])
findet sich canyavera, aber mit der Bedeutung 'Zimt'.
34. Die Verwechsel- und Vermischbarkeit der mehrsilbigen auf
lat. canna basierenden bzw. an es anklingenden Wörter mögen - über die
oben in Anm. 22 angegebenen hinaus - die folgenden Beispiele
illustrieren, die ich aber nicht weiter analysieren möchte. 1. Palay
(1974) hat für das Bearnesische
und Gaskognische einen Eintrag "canè, -re; s. - Caniveau; tuyau de
drainage; rigole; conduit étroit par où passe l'eau qui fait mouvoir
le rouet du moulin; renelle." Hier dürften canè und canère dasselbe
sein wie im Katalanischen canell 'Handgelenk' und canella
'Brunnenrohr, Schienbein' bzw. canyella 'Zimt; Schienbein'. 2.
Coromines (1991: s.w.) schreibt: "canam o cànep m. = cat. cànem. ...
Canebeta 'variant més fina del cànem', SJT [San Joann de Toran], Lé
(potser el cànem femella?), kan^ibé.ta Bag [Bagergue]. De cànep amb
lleu trivialització de la final: Saint Gaudens «cànet: chanvre, où il
croît, chenevrière» Dupleich." Zu beachten ist hier insbesondere, wie
nahe das Hanf-Wort canebeta bzw. kan^ibé.ta lautlich dem Messer-Wort
steht, aber auch, wie sich durch den gaskognischen Wandel -ll > -t das
Hanf-Wort und das Rohr-Wort auf einzigartige Weise (als cànep und
canèt) lautlich nahestehen und zu cànet 'Hanf verbinden. - Vgl. auch
die folgende Anmerkung.
35. Dafür spricht auch das Femininum ganitero, mit -ll- > -r-;
vgl. ferner die Formen galùt und galipèt 'Kehle' (Palay 1974: s.w.).
Auch oben die Variante ganitoû unterstreicht diese Herleitung, wenn
man nämlich Vokalmetathese ansetzt.
36. Vgl. oben das erste Motto dieses Aufsatzes sowie in
Abschnitt 13.1 die Bedeutungsangabe zu bearn./gask. ganibét, -e bei Palay.
37. Zu dieser Formenvielfalt sogleich noch ein Wort.
38. Dies scheint Michelena (1977: § 11.16) jedenfalls nicht
auszuschließen: "Es más raro [im Vergleich mit lh] el grupo rh. ... Es
difícil decir hasta qué punto lh, rh representan antiguos grupos o
continúan una sonora antigua con aspiración secundaria." Michelena
erwähnt belhar in diesem Zusammenhang, analysiert es aber nicht weiter.
39. Vgl. zu solchen Metathesen bei phonologisch instabil werdenden
Gruppen Vennemann 1995c: hier Kap. 7, Abschnitt 6.21.
10. Dieses Beispiel setzt ein weiteres Mal voraus, daß sich das
Paläo-Italische auf vaskonischem Substrat entwickelte. Vgl. hierzu
Vennemann 1995c, 1996.
41. Darauf hat mich Larry Trask e-brieflich aufmerksam gemacht.
42. Das lateinische canna 'Rohr' wiederum ist entlehntes griech. kánna
'Rohr', das laut Walde/Hofmann seinerseits auf babylon.-assyr. qanu:
und letztlich auf sumer. gin 'Rohr' zurückgeht (laut Löpelmann auf
sumer. gan 'Rohrgestell zum Einstellen von Spitzkrügen'). Von Soden
(1965-: s.v. qanu:(m)) betrachtet das babylonische (akkadische) Wort
als semitisch und stellt es -wenig überzeugend - zu akkad. qala:pu
'schälen'.
43 Über die Zeit der Bildung dieses Ausdrucks im gaskognischen
Substrat gibt das Baskische keinen Aufschluß, da es erst seit dem 16.
Jahrhundert schriftlich bezeugt ist. Sie muß nach der hier
entwickelten etymologischen
Kette jedenfalls vor der Bezeugung der zugehörigen romanischen Wörter,
also spätestens im 12. Jahrhundert liegen.
44. Zur sachlichen Beziehung der Begriffe 'Federmesser' und
'Taschenmesser' darf ich die Definition von penknife im OED zitieren:
"A small knife, usually carried in the pocket, used originally for
making and mending quill pens. (Formerly provided with a sheath; now
made with a jointed blade or blades which fit inside the handle when
closed.)"
45. Dies ist unabhängig von der Frage, ob das Baskische überall
ständig auf dem Rückzug war oder im Mittelalter auch Phasen der
Expansion erlebte, vgl. Echenique 1987: 64, 78-82.
46. Von lat. cultellus, Diminutivum zu culter, -tri: m. 'Messer'
(vgl. Dauzat et al. 1971: s.v. couteau). Auch dieses Wort hat,
wenngleich auf rein lautlich-semantischem Weg, seine
Diminutionskomponente verloren.
47. Auch Deutschsprachige sehen keine Veranlassung, für
normal-große Exemplare der betreffenden Sorte Federmesserchen oder
Taschenmesserchen zu sagen.
48. Ob das Wort auch durch die Invasion nach England gebracht
wurde, ist weniger sicher; es könnte ebenso durch den Handel - etwa
den aquitanischen Seehandel von Bordeaux aus - den Weg in den Norden
gefunden haben.
49. Für die Bedeutung 'Federmesser' findet sich im Englischen
laut OED seit dem 15. Jahrhundert penknife. Für a. 1611 zitiert das
OED s.v. penknife aus einem französischen Wörterbuch den Eintrag
"Ganivetier, a pen-knife-maker".
50. Westgerm. +matiz+sahsa- n. 'Speise-Schwert', vgl. bei
Kluge/Seebold (1995) das Lemma Messer, das seinerseits - wie auch
seine niederdeutschen, niederländischen und friesischen Entsprechungen
- dieses alte Kompositum in univerbierter Form bis heute fortsetzt.
51. Diese ist seit dem 14. Jahrhundert nachweisbar (vgl. Onions
und OED, jeweils unter meat), dürfte aber im mündlichen Sprachgebrauch
schon älter sein.
52. Meteseax trat so in eine Reihe mit æ:dreseax 'vein-knife,
lancet' (i.e. 'Aderlaßmesser', 'Lanzette'), græfseax 'graving-knife'
(i.e. 'Meißel, Gräbstichel'), wi:ngeardseax 'pruning-knife' (i.e.
'Rebmesser', wörtlich "Weingartenmesser") und writseax 'pen, calamus'
(i.e. 'Schreibfeder', Schreibrohr') vgl. Bosworth/Toller 1898: s.w.,
Toller/Campbell 1921: s.v. seax.
53. Wie lange die Sprache der Wikinger in England gesprochen
wurde, ist schwer zu ermitteln. Aus der Spärlichkeit des bewahrten
schriftlichen Materials (der Zeit bis zum 12. Jahrhundert) darf man
jedenfalls nicht schließen daß die Sprache der Wikinger im
Danelaw-Gebiet nicht über die Zeit der normannischen Invasion hinaus
gesprochen wurde (Page 1971: 181).
54. Die 9. Auflage (1992) führt den Eintrag nicht mehr.
55. Spezielle Bedeutungen werden durch Komposition ausgedrückt,
z.B. fä^r-knif 'Federmesser' (Jensen 1967: s.v. knif).
56. An eine Entwicklung wie im Westfriesischen (knyft, s.u.) mit
schließlicher Kodavereinfachung ist nicht zu denken, da Gruppen aus
Frikativ und -t im Nordfriesischen fest sind (last 'Last', kraft
'Kraft', duht, duft 'Docht', locht, ljocht 'Luft').
57. Das Genus ist bei Stürenburg (1972) nicht angegeben.
58. Für den Hinweis auf westfries. knyft n. '(großes)
Taschenmesser' mit den beiden Literaturhinweisen danke ich Tette
Hofstra, Groningen.
59. In beiden Wörterbüchern wird als das gewöhnliche Wort für
'Messer' mês, mes genannt.
60. Epenthetisches -t ist denkbar, aber nicht naheliegend; die
Annahme einer Entlehnung von canivet mit Synkope der unakzentuierten
Erstsilbe +knivet), Initialakzentuierung der verbleibenden Form nach
germanischem Muster (+knivét) und Synkope der nunmehrigen Zweitsilbe
mit regressiver Stimmtonassimilation ergibt westfries. knyft [knift]
ohne Zusatzannahmen.
61. Vgl. zur lautlich-begrifflichen Nähe von calamus, canna und
cannabis im Romanischen und Baskischen oben Anm. 22.
62. Der Ort liegt im Westen der Provinz Gipuzkoa nahe der Grenze
zur Provinz Bizkaia, also im Herzen des spanischen Baskenlandes.
63. Doch war die Messerindustrie offenbar nicht auf das
Baskenland im engeren Sinne beschränkt, wie das obige Motto (aus
Gustave Flauberts Dictionnaire des idées reçues) zeigt. In den
Ostpyrenäen Frankreichs gibt es bis in die Neuzeit eine Eisenindustrie.
64. Man wird hier noch einmal daran erinnert, daß bask. bera
zwar einerseits Pflanzennamen kennzeichnet, aber andererseits wörtlich
'weich, biegsam' bedeutet.
65. Zu beachten ist bei port. canabé vielleicht auch bask.
kanabe (s.u.). Zudem könnte im Portugiesischen auch Vermischung mit
altport. cáneve (neben cánabo, cánamo) vorliegen (vgl. oben Anm. 22).
66. Im ansonsten konsistent präspezifizierenden Baskisch folgen
attributive Adjektive ihrem Bezugssubstantiv.
67. Ein selbständiges Substantiv atze 'Baum' ist bei de Azkue für eine
einzige Gemeinde (Uztarroz) im roncalesischen Dialektgebiet
verzeichnet. Näheres und weitere Beispiele in Vennemann 1996: hier
Kap. 9, Abschnitt 3.4.
68. Im Diccionario 1992 ist genau diese Bedeutung angeben: 'carrizo,
planta', d.i. 'Riedgras, Binse, Schilfrohr'. ("Planta" ist
hinzugefügt, da carrizo regional auch als Bezeichnung für den
Mauerspatz auftritt.)
69. Vgl. Corominas/Pascual 1983: s.v. Im heutigen Spanisch sagt man
statt vero, -a - mit einer Ableitung von verdad 'Wahrheit' -
verdadero, -a.
70. Im Baskischen gibt es keine Genera.
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