Re: *kant-/*kunt-, harbor, hide and hunt

From: tgpedersen
Message: 62587
Date: 2009-01-25

--- In cybalist@yahoogroups.com, "tgpedersen" <tgpedersen@...> wrote:
>
>
> Oops, and I am tempted to add Gmc. xund-/Lat. canis "dog"; it
> matches both the semantic criterion (being connected with hunting)
> and the morphophonemic one (the Gmc -d and the Latin -a- are
> unexplained).
> German 'hunzen' "treat badly" is usually explained as "treat like a
> dog", but formally it corresponds to Eng. 'hunt'.
>
> > In the kant-/katt-/kunt- etc list the internal connections are two
> >
> > 1) a semantic development from words having to do with hunting
> > storage hut, side of the river, harbor building, to community,
> > 'Hundertschaft', ie an administrative division; a development
> > from frontier conditions to semi-civilization.
> >
> > 2) Morphophonetically the words are related by two types of
> > alternation:
> >
> > a) alternation between single/geminate/prenasalized stop (in casu
> > -t-/-nt-/-tt-); this is the mark of Schrijver's 'language of
> > geminates'
>
> see
> http://tech.groups.yahoo.com/group/cybalist/message/48657
>
> > b) a/u root vowel alternation; this is the mark of Kuhn's ar-/ur-
> > language.
>
> Here's is Kuhn's last article on the subject, it's long and in
> German, but it's the best I can do; I might translate it, but it
> takes days.
>

In this one he actually provides examples of the ar-/ur-language in
place names, so ... enjoy.


'EIN ZWEITES ALTEUROPA
[Namn och Bygd 59, 1971, S. 52—66; Druckfassung eines Vortrags,
gehalten auf dem VI. Nordiske navneforskerkongres (Helsingør, 23.—26.
8.1971)]
Der Titel meines Vortrags setzt voraus, daß es für den Namenforscher
schon ein Alteuropa gibt, das ich anerkenne. Es ist das, welches Hans
Krahe als das Alteuropäische Flußnamensystem hinterlassen hat und
dessen Bedeu­tung für die nordischen Länder eins der Hauptthemen
dieses Kongresses ist. Aber meine Anerkennung dieses "Alteuropas" ist
mit vielen Einschränkungen und Modifikationen verknüpft. Von ihnen
haben hier namentlich die drei Bedeutung, daß Krahes System nicht die
zentrale Stellung zukommt, die er ihm zusprach, daß die Grenzen, die
er ihm, immer wieder ändernd, gezogen hat, schwerlich richtig sind und
daß es nicht die älteste Schicht der Fluß­namen bildet, die uns
greifbar werden (vgl. Kuhn, Anzeiger f. dt. Altertum [AfdA] 78, 1—22
[s. Bd. III, 320 ff.]). Es gibt noch sehr viel andere Flußnamen aus
vorgeschichtlicher Zeit, und ein Teil von ihnen bildet eine ziem­lich
einheitliche Gruppe, die mit ähnlichem Recht ein System zu heißen
verdient wie der Kern der großen Namengruppen, die Krahe gesammelt und
geordnet hat. Dies ist das "zweite Alteuropa", von dem hier gesprochen
werden soll.
Wir müssen in den nordischen Ländern kaum weniger als in den andern
germanischen mit vorgeschichtlichen Namen rechnen, die nicht allein
nicht germanisch, sondern auch nicht indogermanisch sind. Denn auch in
ihnen haben ja, wie wohlbekannt, vor dem Eindringen der Indogermanen
schon seit Jahrtausenden Menschen gehaust und selbstverständlich auch
Namen gegeben. Aber die lange quellenlose Zeit und besonders die
radikale Um­wandlung der nordischen Sprachen vor dem Beginn der
literarischen Epoche mußten deren meisten Spuren verwischen, so daß es
fast aussichtslos scheint, etwas davon fest in die Hand zu bekommen.
Trotzdem fiel mir, als ich mich, vor rund 15 Jahren, diesen
Fragenkreisen zuzuwenden anfing, auch in Skandinavien, zumeist in
Norwegen, eine langsam steigende Zahl von Namen auf, die sich durch
ihren Lautstand, ihre Bildungsweise oder die Ver­breitung ihres
Wortstamms als schon vorgermanisch zu erweisen schienen. Ganze Gruppen
von ihnen auszusondern, in denen ein Fall die anderen stützt, wird
jedoch nur dann gelingen, wenn wir den ältesten nordischen Namenstoff
systematisch mit demjenigen anderer Länder vergleichen, namentlich
solcher, die sich als besonders reich an sehr altem Namengut er­wiesen
haben. Dieses habe ich an einem klar umgrenzten Stoff versucht. Ich
bin hierbei, etwas zufällig und ohne zunächst an den Norden zu denken,
von Dur- ausgegangen, einem der in Europa am weitesten ver­breiteten
alten Flußnamenstämme, zu dem unter anderm der Durius (Duero) in
Spanien, der Duranius (Dordogne) in Südfrankreich und zwei Duria
(Dora) in Oberitalien gehören. Da die Lautfolge ur in alten Namen im
allgemeinen selten ist, so fiel es mir auf, daß das oberste Po-Gebiet
außer den beiden Duria auch mehrere Flüsse des Namens Stura hat, dazu
Nure, Curone und noch weiteres. Zu ihnen gesellen sich, mit a oder i
als Stamm­vokal, Taro, Ira und Stirone. Das ir dieser letzten ist in
den Namen noch weit seltener als ur (und ar). Eine besonders
eindrucksvolle Gruppe solcher Namen fand ich etwas östlicher um den
Corner See. Dieser hieß im Altertum lacus Larius, und in ihn mündet
eine Maria (Mera) und in diese ein Liro, Kurz westlich von Como aber
fließt eine Lura. Also Lur-, Lar- und Lir· nah beieinander. Dies
schien es mir zu erlauben, auch das Nebeneinander der vorher genannten
Stura und Stirone für bedeutsam zu halten.
Aber auch Dur- ist nah vom Corner See bezeugt. An seiner Westseite
heißt ein hoher Berg Monte Duria. Es waren also wohl nicht nur
Gewässer, denen Namen des beobachteten Typs gegeben wurden. Dies gilt
im übrigen auch von Krahes System, so daß seine Meinung, die meisten
seiner Namen« stämme seien "Wasserwörter" gewesen, schon deshalb nicht
zu halten ist. Auch Landschaft und Wohn- oder Lagerstätten hatten
selbstverständlich von früh an Namen, die mit denselben Mitteln
gebildet sein konnten, und auch von ihnen kann manches die
Jahrtausende überdauert haben.
Dem kurz skizzierten Zustand in den höheren und gebirgigen Teilen des
Pogebiets steht, soweit meine Kenntnis reicht, in seinen unteren und
offeneren Teilen ein gänzliches Fehlen von Flußnamen der erörterten
Bil­dungsweise gegenüber. Dies hat mein Interesse an ihnen wesentlich
ver­größert. In Südfrankreich scheint zwischen der Rhone-Niederung und
dem im Westen anschließenden Gebirgsland ein ähnlicher Gegensatz zu
bestehen. Eine dritte an -ur- und -ar-Namen reiche Landschaft ist das
Bergland der nördlichen Schweiz, insbesondre im Gebiet der Aare. Dort
ist eine Dura (die Thur, zum Rhein) und dann Aare (zum Rhein) und
Suhre (zur Aare) sowie der Jura (das Gebirge), dazu eine große Gruppe
zugehöriger Bildungen mit einer konsonantischen Ableitung oder
Weiterbildung. Da ist eine Orbe (zum Neuenburger See) und eine Surb
(zur Aare), die Urnäsch (zur Sitten zur Thur), die Uerke (zur Suhre)
und die Stadt Murten (am Murtensee), dann die Sorne (zur Birs zum
Rhein), die Sarine (frz. Name der Saane) und der Ort Samen (mit dem
Sarner See) samt Uri (mit dem Urnersee), und schließlich 5mal der
Flußname Murg, der zwar als keltisch gilt, es aber nicht überall sein
kann. Die meisten dieser Weiterbildungen sind nach ihrer Lage so
deutlich mit den Grundformen Dur-, Sur-, Ur- usw. verknüpft, daß wir
sie zu ihrer Gruppe rechnen dürfen. Auch das obere Poland hat an
solchen Bildungen Anteil, unter anderm mit dem Flußnamen Urbis (Orbe),
der mit dem Orbe in der Schweiz wie auch einem Orb in Südfrankreich
und einem in Hessen samt dem Ortsnamen Urb im Rheinland identisch sein
wird. Die Schweiz scheint sonst nur Dur- (Thur) mit dem Po-Gebiet
gemeinsam zu haben. Doch sind ihre meisten Bildungen auch in anderen
verwandten Räumen bezeugt.
Die Lage der -ur-/-ar-Namen in der Schweiz ist der in Oberitalien
verwandt. Auch hier grenzen, im Norden und Nordosten, offenere
Land­schaften an, die an solchen Namen äußerst arm sind. O. Springer,
Die Fluß­namen Württembergs und Badens (1930), enthält außer Murg nur
je einmal Murr und Morre, dazu vielleicht Würm (aus Wirm). Auf der
anderen Seite scheinen die besprochenen Namen in der Schweiz nur wenig
ins Hoch­gebirge hineinzureichen. Nehmen wir die italienische (und die
südfran­zösische) Gruppe hinzu, dann entsteht der Eindruck einer
Relikt- oder Rückzugslage in relativ früh besiedlungsfähig gewordenen
Berglandschaften.
Ich fand -ur-, -ar- und -ir-Namen in allen Ländern Europas, in denen
ich suchte, meist, so scheint es, sehr dünn gestreut, hier und da aber
ähnlich gehäuft wie in den erörterten Gebieten. Dies trifft
insbesondre einen großen Raum in Nordfrankreich, Belgien, Luxemburg,
den Niederlanden und Nord­westdeutschland beiderseits des Rheins, mit
dem Schwerpunkt um die Berg- und Waldlandschaften der Ardennen und der
Eifel (der "Fünfländerraum"). Er enthält Hunderte von Namen der
behandelten Typen, stellenweise in auffallend dichter Lage. So münden
in die Mosel oberhalb von Trier in kurzen Abständen Saar, Su:r (Sauer)
und Sir (Syr), und in diese Su:r eine Ur (Our, mit der Ortschaft Urb),
und in diese wieder eine Irsen und Iren (Ihrenbach). Wir haben in
diesen Gebieten, meist mehrfach oder gar oft, die Stämme Ur-, Ar- und
Ir-, Sur-, Sar- und Sir-, Dur-, Fur-, Mur-, und Rur- samt weiteren,
meist in Ableitungen der oben genannten Typen. Es scheint, als habe da
im Westen weithin die Neigung bestanden, die kurzen Stämme der
Grundschicht zu verlängern, und zwar vor allem auf eine vierfache Art,
mit -s-, -k- und -n-Suffixen sowie (wohl erst spät) mit -apa. Das
erste geschah besonders in der Nähe des Rheins. Es gibt dort Namen mit
den Stammformen Urs-, Burs-, Durs-, Murs-, Nurs-, Surs- und Wurs-,
dazu Ars-, Bars-, Fars-, Kars-, Mars- und Nars- samt Irs-. Ich nehme
hier aber keine Rücksicht darauf, daß einem vielleicht großen Teil
dieser Stämme eine Form des Typs *Duris- zugrunde liegen kann.
Die Gruppe mit der -k-Ableitung ist weiter verbreitet und auch
bedeu­tender. Sie ist am stärksten in den Niederlanden, reicht jedoch
über fast das ganze Gebiet der jetzt erörterten Namen und ist wohl ihr
eindrucksvollstes Merkmal. Man kann den Fünfländerraum im groben mit
Bildungen des Stammes Urk- umgrenzen: von der Ourcq (zur Marne) im
Westen bis zur Orke (zur Eder zur Weser) im Osten und von der Ource
(zur oberen Seine) im Süden bis zur Insel Urk (in der Zuidersee) im
Norden. Die Namen­stämme, die diese Gruppe bilden, sind Urk-, Burk-,
Kurk-, Lurk- und Murk-, Ark-, Bark-, Kark-, Mark-, Sark- und Wark-.
Von dem guten Dutzend alter Inselnamen an den südlichen Nordseeküsten
gehören drei, 380 Borkum, Marken und Urk, zu dieser Bildungsgruppe,
während drei weitere, Marne, Voorne und das nicht mehr bestehende
Voorn, mit einem -n-Suffix gebildet sind. Auch diese Bildungsart ist
sehr weit verbreitet, tritt aber nicht so stark hervor wie der Typ mit
dem -k-.
Die genannten Ableitungsformen tragen zwar, zumal durch ihre
Häufigkeit, sehr dazu bei, dem Namenbestand des Fünfländerraums sein
besonderes Gesicht zu geben, sind jedoch nicht auf ihn beschränkt.
Auch die vierte und wahrscheinlich jüngste Form der Weiterbildung, die
ich erwähnte, die auf -apa — Or-pe/Ur-f, Dor-pe, Sor-pe und Lor-fe,
Ar-pe, Mar-pe und Sar-pe — hat, obschon sie fast ganz auf das Bergland
rechts des Rheins begrenzt ist, Parallelen in großer Ferne (lit.
Dumpis, Nurupis, Surupis, Urkupis usw.). Fast ganz auf unseren Raum
beschränkt sind bisher, von Einzelbildungen abgesehn, nur die
Stammformen Fur- und Rur-. Die zweite gehört dem Binnenlande an, die
erste dem Küstenraum.
Es ist, soweit ich sehe, auf den meisten Seiten kaum möglich, die
Grenzen des nun erörterten großen Raumes einigermaßen klar und sicher
anzugeben. Aber nach Nordwesten zeichnet sich eine deutliche Grenze
ab. Sie kann mit sechs der sonst nur sehr seltenen Burk-Namen
bezeichnet werden: von der Insel Borkum vor der Emsmündung über Borken
an der unteren wie auch westlich von Münster (in Westf.), die
Borken-berge bei Haltern (an der Lippe) und Bork nördlich von Dortmund
nach Borken ssw. von Kassel. Nördlich und östlich dieser ungefähren
Linie werden Bildungen der verfolgten Typen äußerst selten. Ich komme
auf diese "Bor­kengrenze" zurück. Doch zieht sich eine dünne Kette
solcher Namen an der Nordseeküste entlang zur Jütischen Halbinsel hin.
Da sind ein Stuhr bei Bremen und die Sturia (Stör) zur Elbe in
Holstein, die Egi-dora (Eider) mit der Sorge (älter Sorke) und mehrere
Marne oder Marren. Auch der Inselname Föhr gehört wohl dazu. Diese
Kette führt zu einer bemerkens­werten stärkeren Gruppe solcher
Bildungen im Süden, Westen und Norden Jütlands, deren meiste nahe
Verwandte oder volle Entsprechungen in den südlicheren
Vorkommensräumen dieser Namentypen haben, aber auch in Norwegen und
auch Schweden, während die dänischen Inseln fast leer sind, Vergleiche
hierzu die unten gebrachte Kartenskizze mit der zugehörigen Namenliste.
Ich stehe hiermit vor der Frage des skandinavischen Anteils an den
erörterten Namengruppen. Vorher aber einiges Methodische. Es ist mir
klar, daß ich viele Namen falsch eingeordnet haben werde und daß
viele, viel­leicht eine Mehrheit, auch anders befriedigend erklärt
werden können — und zumal im Norden anders erklärt zu werden pflegen
—. Dies ist in so alten Namenschichten unvermeidbar, und es trifft
ähnlich die Namenreiheu Krahes. Ich bin jedoch überzeugt davon ausgehn
zu dürfen, daß Namen oder Namenstämme, die in ähnlichen Gruppen und
Verwendungen über verschiedene (alte) Sprachräume verbreitet sind und
denen spezifische Merkmale später oder lokaler Entstehung fehlen, im
allgemeinen auch dann zusammenhängen, wenn sie sich in einzelnen der
beteiligten Länder oder Landesteile aus deren (heutiger) Sprache
erklären lassen. Man kann den Flußnamen Su:r bei uns wohl leicht als
,die Saure' deuten, nicht aber so die Inselnamen norw. Surn-øy und
griech. Syrie:, Sy:ros und Syrnos. Bei den von mir vorgelegten
Namentypen ist es außerdem die eigenartige Lagerung und
Gruppenbildung, die bei einem solchen Erklärungsverfahren rätselhaft
bleibt. Es kommt noch hinzu, daß diese Arbeitsweise noch viel zu wenig
auf die Bildungsart der Namen zu achten pflegt. Trotzdem ist es
selbstverständlich, daß, um bei dem gewählten Beispiel zu bleiben,
einzelne germanische Flüsse den Su:r-Namen doch auf dem anderen Wege
erhalten haben können. Dies nehme ich in Kauf, in der Gewißheit, daß
sich das eigentümliche Gesamtbild, das vor uns liegt, nie und nimmer
ergeben hätte, wenn sich das meiste aus ziemlich zufälligen
Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten sehr verschiede­nen Ursprungs
zusammensetzte. Dasselbe gilt von der weiteren schweren Fehlerquelle,
daß wir bei keinem vorgeschichtlichen Namen sicher sind, seine älteste
Form zu kennen, und bei vielen gewiß sein dürfen, sie n i c h t zu
kennen. Selbst wenn ein Drittel oder gar die Hälfte der von mir
gesammel­ten und gutgeheißenen Namen ausgeschieden werden müßte, so
bliebe doch genug, um meine Schlüsse zu rechtfertigen. Auch die
Unvollständigkeit des Stoffes wird das Gesamtbild nur wenig verfälschen.
Eins der schwierigsten Probleme ist das der Lautentsprechungen. Dies
gilt sowohl allgemein — wieweit dürfen wir zum Beispiel Murg- und
Murk- (samt Morg- und Mork-) oder Dur- und Tur- als eins behandeln? —
wie ganz besonders im Verhältnis zur germanischen Lautverschiebung.
Daß diese, verglichen mit den südlicheren Parallelen, in den
herangezogenen Namen der Schweiz und auch des Nordwestraums dem
Anschein nach nur vereinzelt wirksam gewesen ist, braucht uns nicht zu
stören. Denn diese Gebiete sind erst sehr spät germanisch geworden.
Aber im Hauptteil der nordischen Länder versagt eine solche Erklärung.
Daß ihre meisten hergehöligen Namen, deren Konsonantenstand
unverschoben erscheint, dorthin erst nach dem Abschluß der
Lautverschiebung gelangt sind, ist, von einzelnen Fällen vielleicht
abgesehen, völlig unwahrscheinlich. Oder hat diese Sprachbewe­gung sie
unberührt gelassen? Dies ist tatsächlich möglich. Doch würde die
Erklärung dafür so viel Raum verlangen, daß ich hier, zum mindesten
zunächst, darauf verzichten und das Fehlen unserer Lautverschiebung in
den allermeisten nordischen Namen, mit denen ich hier operiere, als
ein Faktum behandeln muß, das wir nicht gut leugnen können.
Ich komme nun zu der Lage in Norwegen, wo der wichtigste Teil des
Namenstoffs besonders gut und übersichtlich gesammelt und geordnet
vor­liegt. Es sind hier kaum weniger die Namen der Inseln als der
Flüsse, welche Parallelen zu den untersuchten Bildungen der
südlicheren Länder enthalten. Das ergibt sich aus der Natur des Landes
und dem besonders hohen Alter der Siedlung an seinen Küsten. Aus O.
Ryghs großen Namen­werken kommen Hunderte von Bildungen zusammen, die
entweder volle Entsprechungen oder doch Verwandte in den -ur- und
-ar-Namen haben, die sich für die skizzierten südlichen Gebiete als
typisch erwiesen. Es sind da im Süden nicht viele charakteristische
Stämme und Bildungsarten, an denen Norwegen keinen Anteil hat (oder zu
haben scheint). Es ist nicht möglich, hier viele der Parallelen
anzuführen, und so beschränke ich mich auf einige Fälle, in denen
Jütland die verbindende Brücke schlägt.
Zuerst die schon genannten Stämme Urk- und Burk-. Jütland hat den
zweiten in Bork (am Ringkøbing Fjord), den ersten wahrscheinlich in
Vork (w. Vejle) und Orke-krog (an der Solkær Å, sö. Kolding). In
Norwegen nenne ich mit diesem Stamm nur Ork, den alten Namen des
Flusses im Orkdal, und den Yrkefjord (ö. Haugesund). Schweden steuert
hier wohl mindestens den Seenamen Örken bei (Småland). Burk- steckt
unter anderm im norwegischen Flußnamen Borkn (Bortna, Gauldal) und dem
Seenamen Borken in Östergötland. Dann Urt-. Frankreich hat den
Flußnamen Orthe (zur Sarthe) und Belgien Ourthe (zur Maas), die
Niederlande den alten Ortsnamen Orten und Niedersachsen Ohrte,
Dänemark Orten (nw. Varde) und Orte (Westfyn) und dazu ein Orte-krog
(an der Uge Å, sw. Åbenrå) und Yrt (im Sundeved), Norwegen unter
anderm Orten und Urter als Inselnamen und zweimal Ørteren als Namen
eines Sees, und ebenso Schwe­den Örten. Zum Stamme Murs- gehört ein
Mursa samt Mursila und Mursella im alten Pannonien, am Niederrhein der
alte Gewässername Mörs, in Jütland der Inselname Mors und in Norwegen
Mors (Moss am Oslofjord), auch dies der alte Name eines Flusses.
Die oben kurz erwähnten niederländischen Fur- (und Fu:r-) Namen haben
im Norden viele Verwandte, auf der Jütischen Halbinsel im Insel­namen
Fur (und wohl auch schon in Föhr), in Norwegen in den häufigen
Flußnamen For/Fora, Fura und Forn, in Schweden wohl wenigstens im
Seenamen Furen und dem bekannten Flußnamen Fyres-å. Die Inselnamen
Voorn und Voorne im Westen scheinen in dem westnorwegischen Fonn eine
genaue Entsprechung zu haben. Auch Dur-, der Namenstamm, von dem ich
ausging, ist in den norwegischen Flußnamen nicht ganz selten (s. NE 33
und 35 f.). In Jütland ist es anders. Dort fand ich diesen Stamm, von
Egi­dora abgesehn, nur in den Ableitungen Dørken (bei Give) und Dorf
(Vendsyssel). Zu Dorf vergleiche man die alten Flußnamen Durbia
(Frank­reich) und Durbis (Britannien) sowie wahrscheinlich Dyrfa in
Westnorwegen (NG 11, 599). Dørken scheint nur im Westen einige
Verwandte zu haben (in den Niederlanden de Durk, in Westengland ein
Fluß Dork).
Einer der interessantesten unter den von mir verfolgten Namenstäm­men
ist das Sir-, das im Moselraum mit Sur- und Sar- gekuppelt ist. Von
den wenigen alten Namenstämmen, die ir enthalten, ist es der
verbreitetste. Norwegen hat ihn in dem Inselnamen Si:ri (Utsira, vor
Haugesund) und den Flüssen Sira (Agder) und Sire-å (Hallingdal), dazu
in zwei *Si:r-vin, Schwe­den anscheinend im Inselnamen Sirk-ön (im
Åsnen, Småland), Dänemark im Ortsnamen Sir oder Sire (n. Holstebro)
und dem Inselnamen Sejer-ø (alt Syr-ø). Es folgt dann in den
Niederlanden ein untergegangenes Sier auf der Insel Ameland, wohl
selbst einmal ein Inselname, der Bachname Sire-beke (Zierbeek) bei
Brüssel, die genannte Sir (Syr) in Luxemburg und wenig südlicher
(schon in Lothringen) der Ortsname Sierck, der sicher auch einem Bach
gehört hat, in der Schweiz (Thurgau) ein Sirn-ach und weiter in
Süditalien die Inseln Sirenes (vor Kampanien) und der Fluß Siris
(Lukanien) sowie vor Kreta die Inseln Sirnides. Dazu kommen noch
manche andere Namen. Sir- (und Si:r-) ist also wenigstens 6mal, von
Norwegen und Schweden bis Italien und Griechenland, an Inseln
geknüpft, und noch öfter und ähnlich gelagert an Wasserläufe. Dies
sichert die Ver­wandtschaft der Namen und verbietet uns, den Stamm,
wie es in Norwegen geschah, aus einer der geschichtlichen
Einzelsprachen und mit dem Blick auf nur eine seiner Verwendungen zu
erklären. Ähnlich wie mit Sir- wird es mit dem nahestehenden Sur-
bestellt sein (vgl. oben).
Der starke Anteil am Stamme Fur- sowie an den -k- und -s-Ableitungen —
allein in Jütland in Bork, Vork, Orke-krog und Dørken, Bars-ø, Mors,
Nors und Ørs — bezeugt die engere Verwandtschaft der nordischen
-ur-/-ar-Namen mit denen Westdeutschlands und seiner Nachbarländer,
während anderes, wie gezeigt, auf viel weitere Zusammenhänge hinweist.
Die Beispiele, die ich brachte, werden zugleich genügen, um deutlich
zu machen, daß es neben dem Kraheschen System, auch über große Teile
Europas verbreitet, viele alte Namen, vor allem Flußnamen, gegeben hat
und gibt, die sowohl in der Lautform der Stämme wie den
Ableitungs­mitteln nah miteinander verwandt sind und sich auch in der
landschaftlichen Verteilung als zusammengehörig erweisen, so daß wir
sie mit demselben Recht (oder Unrecht) als ein System zusammenfassen
dürfen wie Krahes Namenreihen. Es gilt auch für beide Seiten, daß da
noch sehr viel zu tun ist, weitaus mehr, als bisher getan, eh wir der
erreichbaren Erkenntnis nahe kommen. Zumal in den nordischen Ländern
liegt das allermeiste noch vor uns. Solange nicht alle (anscheinend)
zugehörigen Namen gesammelt und geordnet — und auch kartiert — sind,
dürfen wir nicht hoffen, die wichtig­sten Fragen einigermaßen
zuverlässig lösen zu können. Das eine aber ist nach meiner Überzeugung
jetzt schon klar, daß es zwei in manchem ver­wandte, in anderem aber
grundverschiedene Systeme in dem ältesten Namen­stoff Europas gibt und
daß auch die nordischen Länder an ihnen Anteil haben, wenigstens an
dem zweiten sogar einen großen.
Ich will nun versuchen, etwas über das Verhältnis dieser beiden
Namen­systeme zueinander zu sagen. Beide müssen Modeerscheinungen
sein, die durch lange Zeiträume wirksam waren und auch lange
nachgewirkt haben können. Sie unterscheiden sich von unseren späteren
Namenmoden nament­lich darin, daß diese durchweg nur auf die
Gleichheit der Suffixe oder zweiten Namenglieder und dazu vielleicht
auf sachliche Gleichartigkeit der Stämme oder ersten Glieder (etwa
Personennamen) gerichtet sind, jene hingegen offenkundig vor allem auf
die lautliche Ähnlichkeit der Namen384 stämme und eine begrenzte
Auswahl von Ableitungsmitteln. Dies kann mit einem weitgetriebenen
Verzicht auf eine sinnvolle Bedeutung der einzelnen Namen verbunden
gewesen sein. Aber Namen sollen etwas bezeichnen und brauchen nichts
zu bedeuten, so daß auch solche Systeme ihre Aufgabe gut erfüllen
konnten. Diese uns fremde Art der Namengebung wird wohl der
Entwicklungsstufe ihrer Zeit entsprochen haben.
In den Mitteln, deren sich die beiden Systeme bedienten, ist der
Unter­schied groß, jedoch nicht absolut. Am auffallendsten ist wohl,
daß beide sich fast ganz auf die drei Vokale a, i und u beschränken,
während e und o, die wichtigsten Grundvokale des Indogermanischen,
nahezu fehlen. Hierbei ist in Krahes Reihen a am weitaus häufigsten
und u am seltensten, in meinen Gruppen aber steht u an der Spitze und
i an der dritten Stelle. Krahe zählt zu seinen Stämmen keinen mit der
Lautfolge ur, die den Kern des anderen Systemes bildet. Dagegen kommt
der Lautfolge ar auf beiden Seiten große Bedeutung zu. Krahes Reihen
enthalten — in praxi, nicht in der Theorie — die Stämme ar- (mit
arg-), kar-, mar-, nar-, sar-, tar- und war-, die ich großenteils für
mein System in Anspruch nahm. Dies ist bei ar- und sar- offensichtlich
berechtigt, und wahrscheinlich auch bei den selteneren nar- und tar-.
Denn sie sind fast ganz auf die Länder beschränkt, in denen die
-ur-Formen heimisch sind, und stehen zum Teil in deutlicher Beziehung
zu solchen. Das Nebeneinander von Sar und Sur an der Mosel, das ich
mehrmals erwähnte, hat manche Parallelen. Demgegenüber scheinen kar-
und vor allem war- weit überwiegend auf Krahes Seite zu gehören. Es
gibt neben ihnen auch nur ganz wenige kur- und wur- mit typischen
Merkmalen des zweiten Systems, und ihrer Verbreitung sind keine
solchen Grenzen gesetzt wie etwa ar- und sar-. Der letzte -ar-Stamm,
der noch bleibt, mar-, war, so scheint es, von früh an in beiden
Systemen heimisch. Doch bleibt hier wohl noch manches zurechtzurücken,
und es lassen sich auch Einzelheiten nennen, die eine Mischung der
zwei Systeme zu bezeugen scheinen. Es würde mich nicht überraschen,
wenn die sorgfältigere Unter­suchung, die besonders auf die
landschaftliche Verbreitung der einzelnen Aufbauelemente gerichtet
ist, die Annahme nahe legte, daß die Systeme anfangs klarer geschieden
waren und ihr meister Gemeinbesitz an Stämmen und Bildungsmitteln erst
das Produkt eines Austausches war.
Für die Erkenntnis, wie die beiden verglichenen Systeme zueinander
stehen, ist selbstverständlich auch ihre Verbreitung von großer
Bedeutung. Krahe hat diejenige seiner Namen wenigstens im groben
abgesteckt. Es reicht über die größten Teile Europas, und fast nur
Randgebiete im Süden und Osten bleiben draußen, so daß er sein System
mit gutem Recht euro­päisch nannte. Doch ist auch hier noch einiges zu
korrigieren und wohl noch mehr zu ergänzen. Krahe achtete insbesondre
erst sehr wenig auf den großen Wechsel in der Dichtigkeit seiner
Namen. Mein Eindruck ist, daß diese dort merklich abzunehmen pflegt,
wo das andre System am stärksten ist. Dies nun ist ebenfalls sehr weit
verbreitet, aber noch viel ungleichmäßiger und, wie schon betont, mit
großen Lücken. Am dichtesten liegen seine Namen, soweit mein Überblick
reicht, in den meisten Randgebieten Europas, die von denen Krahes nur
schwach oder kaum erreicht worden sind. Sie gehen auch nach Kleinasien
hinüber und wohl noch weiter. Über ihre Ver­breitung im inneren Europa
ist das Wichtigste, das ich zu sagen vermag, schon erwähnt. Im Osten
hat mindestens Litauen großen Anteil, und ähnlich nach den alten
Quellen wohl der ganze Umkreis des Schwarzen Meeres. Im übrigen weiß
ich über die Lage in Osteuropa nur sehr wenig.
Die These, zu der mich dies lückenhafte Gesamtbild von der
Ver­breitung der Das "zweite Alteuropa" und die Riesensteingräber der
späteren Jungsteinzeit in Dänemark. -ur-/-ar-Namen geführt hat, ist
die folgende: Diese Namen waren einmal im allergrößten Teil Europas
und zum Teil auch über seine Grenzen hinaus im Gebrauch. Dann aber
drang in seiner Mitte das System Krahes durch, ersetzte da den größten
Teil der Bildungen des andern Systems, unterband dessen weitere
Entwicklung und Entfaltung und drängte es weit nach Westen und Süden
und zumal in die schwerer zugänglichen Berglandschaften zurück. Doch
faßte es später auch in vielen oder den meisten Ländern und
Landschaften Fuß, in denen die Namen des zweiten Systems sich bislang
hatten behaupten und festere Wurzeln schlagen können. Das meiste,
worauf diese Theorie sich stützt, ist oben gesagt oder angedeutet.
Doch sind noch einige Ergänzungen nötig. Dort, wo mir ein
Nebeneinander an -ur-Namen besonders reicher und armer Landschaften
auffiel — in Oberitalien, Südfrankreich, der Schweiz,
Nordwestdeutschland und seinen Nachbarländern und auch Dänemark —,
grenzen die armen im Osten oder Nordosten an. Aus dieser Richtung wird
die Zerstörung gekommen sein, wenigstens in der westlichen Hälfte
Europas. Daß mein Namensystem einst weiter verbreitet war, darauf
weisen auch vereinzelte Vorkommen außer­halb der abgrenzbaren Räume,
meist in entlegeneren Strichen. Auch die dänischen Inseln haben daran
Teil. Ich kenne auf ihnen drei hergehörige Bildungen, alle an ihren
Rändern gelegen, die schon erwähnten Orte (auf Fyn) und Sejer-ø und
dann der Seename Fure-sø bei Kopenhagen, auf den mich J. Kousgård
Sørensen hinwies. Die meisten Vorkommen dieser Art sind, so scheint es
mir, Relikte eines älteren Verbreitungsgebiets.
Die Verhältnisse in Dänemark sind noch aus einem anderen Grunde
bemerkenswert. Lassen wir die abgelegenen Sejer-ø und Fure-sø
beiseite, dann ergibt sich für die 22 übrigen Bildungen des
-ur-/-ar-/-ir-Systems eine geschlossene Verbreitung in der westlichen
Hälfte des Landes, deren Grenze zunächst sehr zufällig aussieht, da
sie sowohl Jütland wie auch Fyn in zwei Teile trennt, die jedoch so
auffallend gut zu der Westgrenze des Ver­breitungsgebiets der
Riesensteingräber (jættestuer) der späteren Jungsteinzeit stimmt, daß
ein Zufall ganz unwahrscheinlich ist (sieh die beigefügte Karte). In
diesem Zeitraum, nach J. Brøndsted den ersten Jahrhunderten des 2.
Jahr­tausends vor Christus, oder jedenfalls nicht lange nach ihm,
scheint sich hiernach die Ostgrenze der untersuchten Namen in Dänemark
gebildet oder gefestigt zu haben. Es gibt auch noch andere sehr alte
Namentypen, die auf die so begrenzte Westhälfte des Landes beschränkt
sind (so die Inselnamen auf -s und der Name Dover).
Meine nächste Frage ist, ob es Anhaltspunkte dafür gibt, um eins der
alten Namensysteme oder auch beide mit einer bestimmten Sprach- oder
Völkergruppe zu verbinden. Solche Indizien sind da, und sie sind so
stark, daß ich versuchen darf, eine Antwort zu geben. Sie geht dahin,
daß die -ur-Namen von nicht indogermanisch sprechenden Völkern gegeben
sein müssen. Viele der Länder, die an ihnen großen Anteil haben — so
der Hauptteil der Pyrenäenhalbinsel, Ligurien, Griechenland und die
größten Teile Klein­asiens —, sind erst spät oder nie indogermanisch
geworden, und die griechi­schen Namen dieser Typen werden wenigstens
zu | einem großen Teil der schwerlich indogermanischen Vorbevölkerung
zugesprochen. Ähnliches gilt vom Namenstamm Dur-, der seine fremde
Herkunft im übrigen schon dadurch verraten wird, daß da die
unindogermanische Nominativform Dur bezeugt ist (in Irland). Auch der
Nar (zum Tiber) hatte eine solche Namen­form. Zu diesem allen kommt,
daß die norddeutsche "Borkengrenze" zu der Nordostgrenze einer kleinen
Gruppe anderer Namen oder Namenelemente stimmt, die mit Sicherheit
oder großer Wahrscheinlichkeit nicht indogerma­nisch sind (Kuhn, Abh.
d. Mainzer Ak., 1963, 562-68 [III, 270-276]), und daß im größten Teile
des Fünfländerraumes alte indogermanische, aber nicht erst keltische,
germanische oder römische Namen äußerst selten sind, so daß wir mit
einer erst sehr späten Indogermanisierung dieser Gebiete rechnen
müssen (vgl. Kuhn, AfdA 78, 4 f. und BNF NF 3, 332 [III, 324 und hier
352 f.]).
Auf der anderen Seite war Krahe fest überzeugt, daß seine Flußnamen
indogermanisch sind. Die stärkste Stütze dafür war und ist ihr oben
an­gedeutetes Verbreitungsgebiet. Es kam hinzu, daß sich die meisten
ihrer Elemente aus indogermanischen Sprachen erklären lassen oder zu
lassen scheinen. Eine andere Frage ist, ob sie alle auch solchen
Ursprungs sind. Hiergegen habe ich schwere Bedenken geltend gemacht
(AfdA 78, 7 ff. [III, 326 ff.]). Wir dürfen aber wohl trotzdem darauf
bauen, daß es im wesentlichen indogermanische Stämme oder Völker
waren, welche Krahes Flußnamensystem verbreiteten. Ich füge noch ein
wenn auch schwaches Argument hinzu. Die Indogermanen waren, nach dem
Zeugnis ihrer Sprache, im Anfang Binnenlandbewohner ohne Kenntnis
eines Meeres. Hierzu paßt es, daß sich das andere Namensystem ringsum
an den Küsten der Nordsee, des Ozeans und des Mittelmeers besonders
gut gehalten zu haben scheint, so als hätten die neuen Namen und damit
das neue Volk vor ihnen halt gemacht. Es ist deshalb wohl so, daß sich
im Einbruch des Kraheschen Namensystems und im Rückzug des zweiten die
Indogermanisierung der Kerngebiete Europas spiegelt und hinter diesen
Wandlungen daher zu großen Teilen Völkerbewegungen stehn.
Es muß dann wohl auch möglich sein, die erörterten Vorgänge zeitlich
ungefähr festzulegen. Krahe setzte die Ausbildung und Herrschaft
seines Systems in das 2. vorchristliche Jahrtausend. Dies läßt sich,
wenigstens für die Anfangszeit, auch mit starken Argumenten stützen,
auf die er nicht geachtet hat (sieh Kuhn, Zeitschr. f. vgl. Sprachf.
71, 1954, 129—61, und AfdA 78, 13 [I, 219 ff. und III, 333 f.]), und
es wird mit dieser Einschrän­kung richtig sein. Viele Elemente seiner
Bildungen haben aber weithin noch lange fortgelebt, und viele der
Namen sind mit Sicherheit jünger. Im übrigen sind wir für die Klärung
der Altersfragen namentlich auf die Hilfe der vorgeschichtlichen
Forschung angewiesen. Der Fall der durch Dänemark laufenden alten
Namengrenze zeigt, daß wir von ihrer Mitwirkung viel erwarten dürfen.
Für die "Borkengrenze" gibt sie uns jedoch, so scheint es, keine
Erklärung.
Selbst wenn die vielen Hunderte alter Namen, von denen ich hier Proben
vorgelegt habe, keine zusammengehörende Gruppe bildeten, so würden sie
dennoch genügen, den Anspruch Krahes, seine Namen seien die Grund-
und Kernschicht der Gewässernamen in den meisten beteiligten Ländern,
ad absurdum zu führen. Es ist ja auch offenkundig und von ihm selber
anerkannt, daß von den größten Flüssen Europas kaum einer einen Namen
trägt, der zu seiner Hydronymie gehört. Das zweite System er­scheint,
was dies betrifft, ein wenig besser gestellt, aber der Abstand ist nur
gering. Ich brauche hier nur an Po, Rhein und Mosel zu erinnern, deren
Zuflußgebiete so besonders reich an -ur- und -ar-Namen sind. Daher
denke ich nicht daran, nun mein System an der Seite oder der Stelle
des Kraheschen an den Anfang der europäischen Flußnamengebung zu
setzen. Es gibt neben ihnen noch viele Hunderte altertümlicher
Gewässernamen, die anders gebil­det sind und von denen sich kaum mehr
als ein kleiner Teil zu einem dritten oder noch weiteren Systemen
zusammenschließen lassen wird, und die von ähnlichem Alter und
großenteils sogar erheblich älter sein können. Es sind auch durchaus
nicht nur die Namen von Flüssen und andern Gewässern. Auch an diesen
verbleibenden Resten haben die nordischen Länder ihren großen Anteil.'


Torsten